Energieanwendung

10.06.2020

Der dicke Fussabdruck des Homo Touristicus

In den Ferien gönnen wir uns etwas – und werfen in der Karibik alle ökologischen Bedenken über Bord des Kreuzfahrtschiffs.

Fotolia by Adobe / Alamy / iStock
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Ferien sind ein Menschenrecht, und echte Ferien sind weit weg und Instagram-tauglich. Mittler­weile sind jährlich rund 1,3 Milliarden Menschen touristisch unterwegs – und das sind auch nur jene, die für ihre Ferien eine Landes­grenze überqueren. Wer innerhalb des eigenen Landes Ferien macht, wird nicht erfasst. Diese Urlauber­ströme haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt, vor allem bedingt durch den steigenden Wohlstand in Indien und China. Gestiegen ist damit auch die Umwelt­belastung. Monika Bandi Tanner von der Forschung­sstelle Tourismus der Universität Bern sagt denn auch, dass auch Leute, die sich im Alltag öko­logisch verhalten, bei den Ferien oft ein Auge zudrücken. Denn: Man hat es sich verdient. «Urlaub ist die populärste Form des Glücks», sage dazu die Forschung. Die Frage ist, wie stark dieses Glück zulasten der Umwelt gehen soll. Denn es gibt unter­schied­liche Arten Ferien. Jede Person in der Schweiz erzeugt im Schnitt im Jahr 4500 kg CO2. Das ist vergleichs­weise wenig und kommt daher, dass unser Strom relativ CO2-arm ist, dass wir im Verhältnis viel Bahn fahren und effizient heizen. Mit grossen Ferien wird dann diese gute Bilanz oft wieder ruiniert. 14 Tage «all-inclusive» in einem Resort in Thailand für zwei Personen emittieren fast so viel Treib­haus­gas wie eine Person in der Schweiz während eines ganzen Jahres. Noch schlimmer ist nur gerade Heliskiing in Kanada. Aber auch 14 Tage Karibik-Kreuzfahrt für zwei Personen schaffen es auf diesen Wert.

Die Steine für den Bau des Mailänder Doms wurden auf mittler­weile oft zuge­schütteten Kanälen, den «Navigli», von den Alpen direkt zur Bau­stelle trans­portiert. Nun will man das Kanal­netz wieder­herrichten und für sanften Tourismus nutzen.
Die «Trolltunga» (Trollzunge) in Norwegen ist eine Instagram-Ikone. Weniger bekannte Winkel des Landes lassen sich auch erwandern oder mit den Post­schiffen der Reederei «Hurtigruten» erkunden.
Der Weg ist mit Abstand das grösste Klimaproblem

Laut Monika Bandi Tanner ist bei weitem der wichtigste Faktor beim öko­logischen Fuss­abdruck des Reisens die An- und Abreise. Sie macht bei den Thailand-Ferien etwa drei Viertel der Emissionen aus. Danach kommen Über­nachtung, Aktivi­täten und Verpflegung. Während der Aufwand für die Ver­pflegung immer etwa gleich ist, schliesslich isst man in den Ferien nicht wesentlich mehr als sonst, machen die Über­nachtungen und die Aktivi­täten einen grossen Unterschied. Beim Heliskiing fällt der Helikopter fast so stark ins Gewicht wie der Hinflug, und auf einer Kreuzfahrt verbraucht das Schiff pro Passagier fast so viele Ressourcen wie der Ski-Helikopter. Bei modernen Kreuz­fahrt­schiffen entfällt mittler­weile mehr als die Hälfte des Energie­verbrauchs auf die sogenannte «Hotelenergie», jene Energie, die nicht fürs Fahren benötigt wird. Die Reedereien sind sich dieses Problems allerdings auch bewusst, leicht geschubst von ent­sprechender Gesetz­gebung. Neue Schiffe werden mit Flüssiggas angetrieben statt mit Schweröl, und die ersten Veran­stalter haben eine «Zero Waste»-Politik, mit der sie auf dem Schiff Abfälle und Einweg­verpackungen vermeiden. Ebenfalls oft fragwürdig sind Ferien in «unberührter Natur», wo aber mit grossem Aufwand die An­nehmlich­keiten des Alltags geboten werden. So haben etwa die Malediven oder viele karibische Inseln grosse Probleme mit ihrer Abfall­entsorgung. Strom kann nur mit Diesel­generatoren erzeugt werden, und die laufen auch dann, wenn die Gäste nur ihre Smartphones laden wollen. Der kleinere Fuss­abdruck von Ferien in der Nähe gilt selbst für die mit Gondel­bahnen und Skiliften industriali­sierten Berg­welten der grossen Ski­gebiete. Ski­ferien in der Schweiz oder Bade­ferien in Kroatien, beide Male mit dem Auto, liegen beide bei etwa 300 kg CO2 und sind damit absolut im Rahmen. Und wer kennt schon alle Museen und lauschigen Ecken der eigenen Region? Selbst wenn man häufig Ausflüge macht, sind «Ferien in Balko­nien» die öko­logischste Variante und attraktiv dazu, etwa für Berufs­pendler, die ihre Wohnungen nur nachts sehen.

«Ferienfabriken» sind ökologisch vorbildlich

Jene Destinationen, welchen oft mit einem gewissen Nase­rümpfen begegnet wird, sind öko­logisch oft erstaunlich gut unterwegs. Die Hotel­komplexe entlang der italienischen Adriaküste oder der spanischen Mittel­meer­küsten gehörten zu den ersten Gebieten, die an Klär­anlagen angeschlossen wurden. In idyllischeren Gegenden flossen die Abwässer dagegen noch jahr­zehnte­lang in den nächsten Bach. Gut organi­sierte «Fabrikferien» an Orten, wo sich Resort an Resort reiht, sind deshalb oft weniger umwelt­belastend als der einsame Palmen-Sehn­suchts­ort. Hier sieht Monika Bandi Tanner ohnehin einen der «Gorillas im Raum», eines jener Probleme des Tourismus, die oft ignoriert werden. Immer wieder erfahren solche idyllischen Punkte durch Influencer und Instagram einen plötzlichen Hype und werden vom heran­brandenden Gäste-Tsunami weggeschwemmt. Im Berggast­haus Äscher-Wildkirchli in Appenzell Innerrhoden kann man ein Lied davon singen, wie plötzliche Berühmt­heit, ausgelöst durch «Geheimtipps» von Hollywood-Stars, eine Front­seite in «National Geographic» und Hunderte von Instagrammern, Küche und Kanali­sation überfordern. Doch das «Äscher»-­Problem droht mittlerweile fast überall, wo es schön, unberührt und «authentisch» ist. Wer eine solche Attrak­tion kennt oder entdeckt hat, behält das deshalb besser für sich – und schützt sie für sich und wenige andere, statt das Erlebnis mit der Jagd nach «Likes» zu ruinieren. Weil der Anteil der Hin- und Rückreise oft über 80 Prozent der gesamten Emissionen einer Reise ausmacht, ist nicht nur die Wahl des Transport­mittels ent­scheidend, son­dern vor allem auch die Länge des Aufent­halts. Monika Bandi Tanner rät deshalb zu langen Aufenthalts­dauern statt zu vielen Kurz­trips. Damit verteilen sich die ohnehin grossen Reise­emissio­nen auf mehr Ferientage. Immer mal wieder für zwei Tage nach London oder drei Tage nach Barcelona zu jetten, ist fragwürdig. Und das Yoga-Achtsamkeits-Weekend in Indien ist ökologisch ignorant. Fünf Wochen bewusstes Reisen in den USA, während deren man sich in den hotel­artigen Zügen der staatlichen Bahn­gesellschaft Amtrak mit ihren bequemen Betten und hervor­ragenden Speise­wagen durch den Wilden Westen schaukeln lässt, sind ökologisch eher vertretbar.

Weniger jetten, mehr reisen

Die relativ modernen Flugzeuge der Lufthansa-Gruppe, zu der auch die Swiss gehört, verbrauchen im Schnitt 3,58 Liter Kerosin pro 100 Personenkilometer. Diese Zahl ist bei grösseren Flugzeugen kleiner und sinkt bei längeren Flügen weiter, weil die Maschinen im Flug leichter werden. Der verbrauchte Treibstoff muss nicht mehr mitgeschleppt werden, das Flugzeug wird sparsamer. Je kürzer die Flüge und je kleiner die Flugzeuge, desto ineffizienter wird das Fliegen. Einmal im Grossraumjet nach Kalifornien ist deshalb weniger schädlich als dreimal mit dem nur halb so grossen Flugzeug einer Billig­airline auf die Kanaren, obwohl die zurück­gelegte Strecke etwa gleich ist. Richtig ökologisch unterwegs ist aber, wer aufs Jetten möglichst verzichtet oder zumindest nur in eine Richtung fliegt und etwa für den Rückweg ein anderes Transport­mittel wählt. Flugzeuge emittieren pro Personenkilometer rund 426 Gramm CO2, Autos mit 216,5 Gramm ziemlich genau die Hälfte, die Bahn dagegen nur etwa 14 Gramm oder 3,2 Prozent des Flugzeugs.

Die Welt kommt zu uns

Nun gehen ja nicht nur Schweizer in alle Welt in die Ferien, sondern alle Welt macht Ferien in der Schweiz. Ab 1863 war die Schweiz Ziel einer ersten Pauschal­reise des britischen Reise­pioniers und Erfinders des Massentourismus, Thomas Cook, dessen Firma erst kürzlich pleite­gegangen ist. Mittlerweile ist der Tourismus­sektor einer der wichtigsten Arbeitgeber im Land und gemessen an der Zahl der ausländischen Gäste eine der wichtigsten Export­branchen der Schweiz. Mit jährlichen Einnahmen von 16,6 Milliarden Franken von ausländischen Gästen macht der Tourismus rund 4,4 Prozent der Export­einnahmen aus. Gleichzeitig geben Schweizer Gäste rund 18 Milliarden Franken jährlich im Ausland aus. Der Schweizer «Incoming»-Tourismus von Gästen, die unser Land besuchen, verursacht damit ähnlich grosse Reise­emissionen wie der «Out­going»-Tourismus von Schweizern, die ins Ausland fliegen. Allerdings relativiert eine Studie von Avenir Suisse diesen Punkt. Ein grosser Teil der Gäste in der Schweiz kommt zum einen aus der Schweiz, vor allem aber auch aus den Nachbar­ländern und Europa. Gäste aus Asien sind eine wichtige Minderheit. Laut Avenir Suisse stehen die Destinationen in der Schweiz in direkter Konkurrenz zu teilweise sehr weit entfernten Ferien­zielen. So wird der Rückgang der Über­nachtungs­zahlen in Graubünden zu einem Teil auf massiv billiger gewordene Fernreisen zurückgeführt. Zudem gestalten viele Schweizer Veranstalter ihr Angebot mit Aufwand und viel Überzeugung umwelt­­freundlich. Bei den Schweizer Jugend­herbergen fängt das schon bei der Architektur an und zieht sich durchs ganze Angebot.

Neue Geografien und das gute alte Interrail

Wenn ökologische Ferien möglichst lang und möglichst bahnlastig sein sollen, landen wir bei einer völlig neuen Ferien­­planung. Statt Kurztrips mit Attraktionen maximal zwei Stunden von einem inter­nationalen Flughafen entfernt rücken bisher unbeachtete Destinationen ins Blickfeld. In Polen gibt es Dünen wie in der Sahara; Friesland bietet das grösste zusammen­hängende Seengebiet Europas; der Ladogasee vor den Toren St. Petersburgs hat Strände und Brandung wie in der Karibik, aber mit Süsswasser. Die Alters­beschränkung beim legendären Interrail-Ticket ist gefallen. Damit lässt sich das vereinigte Bahn-Europa der Jugend nun auch mit der Familie erkunden. Und die auf der Autobahn dahin­rasenden, aber trotzdem wie parkiert aussehenden Autos grüs­sen wir aus dem Speise­wagen des ICE mit einem Glas Rotwein. Das Display zeigt «340 km/h».

Per Anhalter über den Atlantik

Bootfahren auf den Kanalnetzen Frankreichs und Belgiens? Radtouren durch die Wälder Polens? Wellness in Dalmatien? Reisen regt die Fantasie an, vor allem, wenn auch der Weg und das Transport­mittel zum Ziel werden. Über den Atlantik kommt man auch mit Fracht­schiffen oder als Crew­mitglied auf einem Segelboot. Spontane Naturen fragen sich in Hafen­kneipen, Yacht- und Container­häfen durch. Wer nach dem Grundsatz lebt: «Glück ist die Planung, die man nicht sieht», sucht sich auf ent­sprechenden Apps und Websites einen schwim­menden Unter­satz. Die «Mitsegel-Apps» haben seit den beiden Atlantik­über­querungen von Greta Thunberg massiven Zulauf erhalten. Und was Phileas Fogg 1872 im Roman «In 80 Tagen um die Welt» von Jules Verne schaffte, geht heute erst recht.

Freie Bahn für alle und überall

Interrail gilt noch immer als das Abenteuer der Jugend – für viele die Geschichte der ersten grossen Reise mit der ersten grossen Liebe durch ganz Europa, mit minimalem Budget und maximalen Erinnerungen. Interrail war jahr­zehnte­lang der Schlüssel zur Freiheit, viel mehr noch als ein eigenes Auto. Das Gemein­schafts­ticket der europäischen Bahnen startete 1972 und ist ein Kind der 68er-Bewegung und des Hippie-Trails. Das waren die Rucksack­reisen jener Generation, bei denen der Weg wichtiger war als das Ziel. Die europäischen Bahn­gesell­schaften wollten auch dieser wachsenden Zahl von Rucksack­touristen etwas bieten und erfanden das Interrail-Ticket für junge Menschen bis 21. Später stieg die Alters­grenze auf 26, und bereits 1988 wurde das Alters­limit komplett aufgehoben. Interrail ist deshalb die beste Möglichkeit, Europa zu erkunden. Viele tun das noch immer mit magerem Studenten­budget, bei dem die Nacht­züge immer auch als rollendes Hotel genutzt werden und das grosse Bankett mit den Kumpels jeweils auf einer Park­bank ange­richtet wird. Es geht aber auch stilvoll und mit grösserem Budget für gute Restaurants, Konzerte und Ausstellungen. Interrail ist vor allem auch für jene die grosse Bahn­freiheit, die schon fast ver­gessen haben, dass es das noch gibt.

interrail.eu

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