Energieanwendung

18.09.2018

«Wir müssen alle Möglichkeiten ausschöpfen»

Lässt sich das Problem der Klimaerwärmung lösen, indem CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird? Yasmine Calisesi vom Bundesamt für Energie erläutert Potenziale und Risiken.

zVg Climeworks, zVg BFE
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Was tun mit all dem CO2? Es aus der Atmosphäre zu filtern, ist ein Ansatz.
Die Menschheit bläst jedes Jahr rund 35 Mrd. Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre. Darum erwärmt sich das Klima. Was lässt sich dagegen tun?

Wir können einerseits weniger CO2 ­aus­stossen: durch die Nutzung erneuerbarer statt fossiler Energien sowie durch die Steigerung der Energieeffi­zienz. Anderseits lässt sich CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Lösungen zu Letzterem nennt man «Negative Emis­sions Technologies» (NET), also Technologien negativer Emissionen.

Wie erzeugt man negative Emissionen?

Beispielsweise durch die Bildung von Biomasse und – mit verstärkender Wirkung – anschliessende CO2-­Abscheidung und -Speicherung: Ein Wald, der heranwächst, bindet das CO2 der Luft durch Fotosynthese. Dauerhaft ist diese Ent­fernung von CO2 aus der ­Atmosphäre aber nur, wenn bei der Verbrennung oder ­anderen Umwandlungen der Biomasse die sogenannte CCS-Technik angewendet wird. Allerdings kann die Bildung von Biomasse fruchtbaren Boden verbrauchen, der dann für die Nahrungs­mittelproduktion nicht mehr zur Ver­fügung steht.

Worum geht es bei der CCS-Technik?

CCS bedeutet «Carbon Capture and Storage». Hierbei entfernt man das CO2 aus Abgasen, beispielsweise in Zement­fabriken und der chemischen Industrie, und deponiert es unterirdisch, zum ­Beispiel in salzwasserhaltigen Gesteins­formationen oder leeren Gas- und Öl­feldern. Diese Technik wird schon seit rund zwanzig Jahren angewandt. Bis jetzt gibt es weltweit allerdings erst siebzehn Grossanlagen – sie scheiden jährlich 30 Mio. Tonnen CO2 ab und speichern sie danach. Das entspricht nur 0,9 Promille des weltweiten CO2-Ausstosses

CO2-Filter in Hinwil

Climeworks, ein Spin-off der ETH Zürich, wurde 2009 gegründet. Die Ingenieure Christoph Gebald und Jan Wurzbacher haben eine Technologie entwickelt, die CO2 aus der Luft filtert. Die erste kommerzielle solche Anlage steht seit 2017 auf dem Dach der Kehricht­verwertung Zürcher Oberland in Hinwil. Sie nutzt zu ihrem Betrieb Niedertemperatur-Abwärme aus der Kehrichtverbrennung und entfernt pro Jahr 900 Tonnen CO2 aus der Luft. Das abgeschiedene CO2 wird an einen Gemüsebaubetrieb verkauft, wo es im Gewächshaus durch Begasung das Pflanzen­wachstum fördert. Dabei gelangt das CO2 teilweise wieder in die Atmosphäre. Bei einem Projekt in Island hingegen, an dem Climeworks beteiligt ist, wird CO2 aus der Luft gefiltert und anschliessend in mineralischer Form – also als Feststoff – in Basaltgestein gespeichert und so der Atmosphäre dauerhaft entzogen.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten?

Das Schweizer Unternehmen ­Climeworks hat eine Technologie entwickelt, die CO2 aus der Luft filtert (vgl. Kasten). Im Frühjahr 2017 ging in Hinwil eine Demonstrationsanlage in Betrieb, die vom Bundesamt für Energie unterstützt wurde. Die Anlage scheidet CO2 aus der Umgebungsluft ab und leitet dieses ­anschliessend einem Gewächshaus zu. Dort wird es als Dünger eingesetzt. Die Technologie scheint vielversprechend. Lässt sich zum Betrieb Abwärme nutzen, werden durch den Bau und den Betrieb der Anlage pro Tonne aus der Luft entferntes CO2 nur 100 Kilogramm CO2 emittiert (sog. graue Emis­sionen), also nur 10 Prozent.

Machen die Technologien zur Ab­scheidung von CO2 aus Abgasen oder aus der Atmosphäre den Einsatz ­erneuerbarer Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz überflüssig?

Das Ziel, die weltweite Klimaerwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius zu beschränken, ist anspruchsvoll. Wir dürfen uns deshalb nicht auf eine einzelne Massnahme ­beschränken, sondern müssen alle ver­fügbaren Möglichkeiten ­ausschöpfen. So sind die Internationale Energie-­Agentur (IEA) und der Welt­klimarat (IPCC) übereinstimmend der Auffassung, dass das Klimaziel ohne NET nicht ­erreicht werden kann. Doch der Einsatz von NET hat auch Grenzen, die nicht ­zuletzt durch die Kosten und die fehlende Akzeptanz für diese Techno­logien bedingt sind.

Yasmine Calisesi

Yasmine Calisesi

ist promovierte Atmosphärenphysikerin. Seit 2007 leitet sie am Bundesamt für Energie das Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprogramm.

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