Mobilität

17.05.2018

Bewegung im Kopf

Lautlos und flink rauschen sie heran: Immer mehr Elektroautos fahren auf unseren Strassen. Doch wer kauft sie?, frage ich mich bei einer Probefahrt. Über Entscheidungen und den Weg dorthin. Und über Felix.

Henrik Abrahams
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Ich wollte es also wissen – wie es ist, selber ein Elektroauto zu fahren. Nun sitze ich in einem und gleite dahin. Um mich Verkehr, alles vertraut. Doch auch irgendwie neu: Kein Motor brummt und vibriert, nur ein leises Summen ist da. Bei tiefen Geschwindigkeiten kommt ein künstliches, nebulöses Geräusch dazu. Das Gaspedal verleitet zum Spielen: Mal beschleunigt es rasant, mal lädt es den Akku. Meine Gedanken geraten in Fahrt. Würde ich mir so ein Auto kaufen? Wenn nicht ich, wer dann? In meinem Kopf nimmt ein Käufer Gestalt an.

Neuland

Ich nenne ihn Felix. Er ist 29 Jahre alt, wohnt mit seiner Partnerin in der Agglomeration, bestimmt in einer Neubauwohnung. Täglich fährt er ins Büro in die Stadt, trifft am Wochenende Freunde, geniesst sein Leben. Marktforscher würden ihn als Durchschnitt bezeichnen und, gestützt auf die Statistik, erwarten, dass er ein Auto besitzt. Felix aber hat keines und will das jetzt ändern. Vielleicht, weil ihm der öffentliche Verkehr lästig geworden ist, weil er unabhängig sein möchte oder einfach: weil er es sich leisten kann. Immerhin hat er gespart.

Ein Elektroauto fasst Felix schnell ins Auge – nicht hybrid, das ist ihm zu kompliziert. Strom pur. Damit fällt er aus der Norm; der Durchschnitts-Elektrofahrer ist jenseits der 50, verdient gut und hat ein Erstauto – mit Verbrennungsmotor. Doch Felix gehört zu einer wachsenden Gruppe. Gemäss Umfragen liebäugeln gerade Junge mit Elektrofahrzeugen; Vernetzung ist ihnen wichtig, PS als Statussymbol fremd. Logisch – sie sind die Smartphone-Generation. Das Leben am Akku ist ihnen vertraut, auch Felix. Doch vielleicht geht es ihm auch nur um das Gefühl, übers Land zu rauschen.

Neugier

Konsumorientiert wie er ist, beginnt Felix seine Recherche beim Objekt der Begierde: beim Auto. Vom luxuriösen Tesla bis zum sparsamen Einsitzer ist das Angebot inzwischen gross – und wird immer grösser. Auch einen Occasionsmarkt gibt es, doch zeigt der eine Lücke: Die Mittelklasse tankt keinen Strom. Noch nicht. Dafür fahren etliche Kleinwagen mit Batterie – bei manchen lässt sie sich mieten, was den Kaufpreis senkt. Ab 25000 Franken wäre Felix dabei, mit Batterie. Nicht billig, aber machbar.

Als Nächstes würde sich Felix fragen, wo genau er «tanken» kann. Er googelt und landet auf der Seite von e’mobile. Dort, auf einer Übersichtskarte, sieht er: Stromtankstellen überall im Land, auch bei ihm. Einige sind gratis, andere kosten. Für die Bezahlnetze existieren verschiedene Anbieter; die meisten kooperieren miteinander. Vermutlich würde sich Felix jetzt zum ersten Mal am Kopf kratzen: Was sind Typ-1-, Typ-2- und Kombianschlüsse, was bedeuten die verschiedenen Kilowattangaben?

Videointerview

Zum Thema: Claudio Pfister von der Fachstelle e’mobile erklärt, wo die Elektromobilität steht. Ein Besuch am Internationalen Automobilsalon Genf 2018.

Doch sein Eifer ist da: Den Abend verbringt Felix mit dem iPhone und der «Chargemap»-App, mit der er Ladestationen erforscht und die Elektrogemeinde kennenlernt. Das Ladeproblem, denkt er sich, ist eigentlich keins. Vor allem, weil die meisten Elektrofahrer privat laden, über Nacht, wenn der Strom günstig ist. Felix’ Problem: Wie so viele ist er Mieter, für eine eigene Ladestation bräuchte er einen Garagenplatz – und Beratung, zum Beispiel vom Energieversorger. Oder im Büro laden? Die Welt ist voller Steckdosen, denkt sich Felix. Dass das Laden mit einer Haushaltssteckdose eine kleine Ewigkeit dauert, weiss er noch nicht.

Zweifel

Dann beginnt auch Felix zu rechnen. Eine Vollkostenkalkulation muss her, also Kaufpreis, Strom, Versicherung, Garage, Abschreibung und alles andere. «Total cost of ownership» heisse das, sagt ihm Google. Er recherchiert weiter und merkt: Elektroautos können so günstig sein wie Benziner, sogar günstiger. Unter einer Bedingung: Felix muss fahren. Strom ist pro Kilometer meist günstiger als Benzin. Will er diesen Vorteil nutzen, braucht Felix also Kilometer. Auch die Batterie verlangt Bewegung – lange Standzeiten quittiert sie mit Kapazitätsverlust. Immerhin: Die Fahrzeugsteuer wird vielerorts erlassen, fällt also aus der Rechnung. Doch die grösste Variable sind und bleiben Kilometer und damit Kilowattstunden.

Vermutlich ist Felix jetzt ernüchtert: Im Alltag legt er knapp 50 Kilometer zurück. Das rechtfertigt kaum ein eigenes Auto. Andererseits, würde er sich denken, warum nicht? Wer elektrisch fährt, bläst keine Abgase in die Umwelt. Natürlich ist das nur die halbe Wahrheit, Strom ist nie ganz klimaneutral. Doch Felix’ Versorger hat im Standardprodukt einen Ökostromanteil, was sein Auto vergleichsweise «sauber» macht. Und sein Gewissen rein. Für einen Ausflug am Wochenende wäre er jederzeit bereit. Doch der Gedanke lässt ihn nicht los: Ein Auto kaufen, um es ständig fahren zu müssen – will er das? Wie viel ist ihm seine Beweglichkeit wert?

Erwachen

Irgendwann vereinbart auch Felix eine Probefahrt; Erfahrung kommt von «fahren», denkt er sich. Ein superschneller Tesla reizt ihn natürlich, doch der liegt ausserhalb seines Budgets. Er steigt bescheiden ein: in einen Renault Zoe, klein, günstig, jüngst zum «grünsten Auto der Schweiz» gewählt worden. «Grün» interessiert Felix zwar nicht. Vielmehr, dass sein Testfahrzeug aussieht wie ein Auto, vier Sitze hat und Platz für Gepäck. Er steigt ein, drückt den Startknopf. Auf dem Bildschirm erscheint eine volle Batterie, daneben steht «200 km» und «Ready». Die Welt von Felix. Rechts findet er den Automatikhebel, schaltet auf D, löst die Bremse und dann: das künstliche Summen. Felix gleitet.

Felix tritt aufs Gas und spürt das Drehmoment, er geht vom Gas und wird langsamer. Der Motor wird zum Generator, der seinen Akku lädt. Er beginnt zu spielen: rollen, beschleunigen. Strom rein, Strom raus. Dann peilt er ein Einkaufszentrum an, kostenlos Strom tanken. Der markierte Parkplatz ist noch frei, ein Knopf öffnet die Abdeckung – vorne. Und das Kabel? Felix findet es im Kofferraum, steckt es ein, checkt zur Sicherheit den Bildschirm. Dann kauft er ein, trinkt einen Kaffee und siehe da: Akku voll. Auf dem Rückweg zur Garage beobachtet er den Bildschirm, das Rein und Raus der Batterie. Sein iPhone, sein Auto, unsere leichte, elektrische Welt.

Träumen

Felix geht ohne Auto nach Hause und macht sich Gedanken. Vielleicht die gleichen wie ich. Ja, ein Elektroauto macht Spass – leise, spritzig, unkompliziert. Trotzdem ist es unspektakulär: ein Auto, das fährt und hin und wieder «Saft» braucht. Weder Wunder- noch Hexenwerk. Doch wer will, oder besser: braucht es? Für die Stadt gibt es E-Bikes, für den Einkauf Cargobikes, doch sie haben weder Dach noch Beifahrersitz. Der Zug hat beides und fährt längst elektrisch, gehört aber nicht Felix. Carsharing, selbstfahrende Autos, die Zukunft? Ich stelle mir Felix vor, wie er über seine Entscheidung schläft. Vielleicht träumt er von Kilowattstunden, vom Wind im Haar und vom Unterwegssein. Und vielleicht sagt ihm eine leise Stimme: Jede Entscheidung braucht irgendwann einen mutigen Schritt.

Elektromobilität

Entscheidungshilfen

E’mobile – unabhängige Probefahrten in der Region, Infos zu Ladestationen, Steuervergünstigungen und vielem mehr
Evite – Initiative des Verbands Swiss eMobility, Übersicht der grössten privaten Ladenetze
Ecar4car – einen Tag den Benziner gegen ein Elektrofahrzeug tauschen
TCS Autosuche – umfangreiche Datenbank mit Betriebskosten von Fahrzeugen aller Antriebsarten
Auto-Umweltliste – das Umwelt-Rating aller Neufahrzeuge des VCS
Mobitool – Umweltrechner für Auto, öV und Langsamverkehr

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