Energieanwendung

09.09.2020

Von elek­trischen Signalen, Nerven und Roboter­händen

Ohne zu über­legen, be­wegen wir unsere Hände, greifen nach Dingen und spreizen unsere Finger. Die Be­fehle dazu schickt das Hirn elek­trisch – vielleicht bald auch direkt an ent­spre­chende moderne Prothesen.

iStock / zVg ETH Zürich, Nicola Pitaro
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Dank des kör­per­ei­genen elek­tri­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­tems sollen Pro­thesen genauso wie na­tür­iche Körper­teile intuitiv be­weg­bar und vom Hirn direkt steuer­bar werden. Erste An­sätze sind vielversprechend.

Die Hand greift nach dem Glas und hebt es an. Eine na­tür­li­che Bewegung, die jeder kennt. Lang­sam legen sich Daumen, Zeige-, Mittel- und Ring­finger um das Gefäss, behutsam nur, der Druck darf nicht zu gross werden. Der kleine Finger bewegt sich weiter und schiebt sich unter das Glas, bis dieses richtig «festsitzt». Jetzt erst hebt die Hand das Glas an. Es han­delt sich um die gleiche Bewegung, aus­ge­führt von einer künst­li­chen Hand, einer soge­nann­ten Hightech-Prothese. Was den Bei­spielen gemein ist: In beiden Fällen wird ein elektrisches Signal be­nötigt, um die ge­wünschten Bewe­gungen über­haupt auszuführen.

Ohne elek­trische Unter­stüt­zung geht’s nicht

Für die Über­mitt­lung von Bot­schaf­ten im menschlichen Körper ist das Nerven­system zuständig. Es besteht aus einer Viel­zahl von Nerven­zellen und einer noch grösseren Zahl an Nerven­fasern, welche den Körper als Leitungs­bahnen durch­­­ziehen. Die Grund­ein­heit des Nerven­sys­tems ist die Nerven­zelle, Neuron genannt. Inner­halb eines Neurons werden die Bot­schaf­ten durch elek­trische Signale über­mittelt, die Über­tragung zwischen Neuronen erfolgt über chemische Boten­stoffe. Jede unserer Be­we­gungen ist auf eine solche Über­mittlung von Bot­schaf­ten zurück­zu­führen. Aus­löser ist entweder ein bewusster Impuls – im Bei­spiel ist es der Wunsch, das Glas zu heben – oder ein externer, mechanischer Reiz wie eine Be­rüh­rung oder ein Geräusch. Sobald die be­trof­fenen sen­so­rischen Nerven­zellen den Impuls oder Reiz er­hal­ten, senden sie elek­trische Signale aus. Die Neuronen im Rücken­mark verar­beiten die Bot­schaft und geben sie an die peripheren, motorischen Nerven­zellen und schliess­lich an Muskel­zellen weiter, die sich darauf­hin zusammen­ziehen – kon­tra­hie­ren im Fach­jargon – und so eine Bewe­gung erzeugen. Im Gegen­satz zur natür­li­chen Muskel­steuerung mit körper­eigenen elek­­trischen Signalen sind bei modernen Hightech-Hand­prothesen Elektroden am Arm­stumpf ange­bracht. Sie messen die Aktivität des Muskels, der eigen­tlich für die Hand­be­wegung zuständig wäre. Weil die natürliche Hand aber fehlt, wird der Muskel als Schnitt­stelle genutzt, um die Prothese anzu­steuern. Trägerinnen und Träger einer solchen Prothese müssen erst lernen, die ge­wünsch­ten Bewe­gungen richtig und kon­trol­liert auszu­führen. Geben sie bei­spiels­weise zu früh einen Impuls zum Öffnen der künstlichen Hand, riskieren sie, dass ihnen das Glas zu Boden fällt.

Ver­suchen kann man es ja. Aber der Ver­lust einer Hand wird für einen Pianisten noch lange das Ende der Karriere bedeuten.

Futuris­tisch ja, alltags­tauglich nein

Im Internet kursieren zahl­reiche Videos von bei­nahe echt aus­se­hen­den «Roboter­händen», die selbst fein­motorische Bewe­gungen schein­bar mühe­los meistern. Die Technik, so der Ein­druck, ist bereits so weit fort­ge­schritten, dass der Weg zu einer voll­ständig funktions­fähigen künst­lichen Hand, die einer natür­lichen in nichts nach­steht, nicht mehr weit ist. Diese An­nahme täuscht, wie Robert Riener, Professor für senso­mo­torische Systeme an der ETH Zürich, erklärt: «Einerseits sind solche Prothesen immer noch fehler­an­fällig, weil sowohl die Messung der Muskel­aktivität als auch die Moto­ri­sierung des Geräts meist zu wenig gut funk­ti­onieren und nicht zuver­lässig genug sind.» Ander­er­seits ziele die Ent­wick­lung der Geräte nach wie vor an den eigen­tlichen Bedürf­nissen der betrof­fenen Menschen vorbei. «Viele Prothesen sehen zwar cool aus, und es stecken die neusten Tech­no­logien dahinter, aber all­tags­tauglich sind sie eben nicht.»

Prothesen werden immer raf­fi­niert­er und ein­fache Be­we­gun­gen lassen sich vom Hirn aus schon direkt steuern.

Ein Um­stand, dem Robert Riener und sein Team ent­gegen­wirken wollen. Sie ziehen Menschen mit körper­lichen Beein­träch­ti­gungen für ihre Forschungs­arbeit hinzu, schliess­lich sollen die Geräte den All­tag der Betrof­fenen wirklich er­leich­tern. Momentan arbeitet das Team vor allem an der Weiter­ent­wicklung von Orthesen, also kör­per­externen Stütz­apparaten wie Schienen und Exo­skeletten. Im Gegen­satz zu Prothesen ersetzen Orthesen verlo­ren gegan­gene Körper­strukturen (Hände, Arme, Beine) nicht kom­plett, sondern nur teil­weise; sie unter­stützen motorische Funktionen.

Assistenz für gesunde Menschen?

Orthesen und Prothesen sind keine neuen Erfin­dungen. Seit jeher versucht der Mensch, schwache und beein­trächtigte Körper­teile zu unter­stützen respektive fehlende zu ersetzen. Stöcke und Krücken sind nahe­liegende Bei­spiele. Der Fokus auf die Alltags­tauglich­keit solcher Assistenz­systeme aber ist relativ neu. Um Inno­va­tionen in diesem Bereich voran­zu­treiben, hat die ETH Zürich unter der Feder­führung von Professor Robert Riener im Jahr 2016 den Cybathlon ins Leben gerufen. Die zweite Aus­tra­gung dieses Wett­kampfes für Men­schen mit Beein­träch­tigungen findet aufgrund der Corona-Krise statt im Mai erst im Sep­tember 2020 statt (siehe Box). Wer den Teil­neh­menden dabei zusieht, wie sie mit einem künst­lichen Bein die Treppe hoch­gehen, fragt sich, ob in Zu­kunft auch gesunde Menschen auf assistive Techno­logien setzen werden – etwa, weil Prothesen im Gegen­satz zu Muskeln nicht ermüden. Robert Riener winkt ab: «In den nächsten Jahr­zehnten wird es noch keine Geräte geben, die in der gesamten Breite der möglichen Bewegungs­funktionen besser funk­ti­o­nieren als der Mensch. Der ‹Terminator der Zukunft› ist noch in weiter Ferne.» Zudem sei der Ein­satz frag­würdig, wenn der Körper dafür ver­ändert werden müsste, bei­spiels­weise durch eine Amputation oder eine chirurgische Implantation.

Ein weiterer Grund, wes­halb der kom­mer­zielle Ein­satz von tech­ni­schen Assistenz­systemen, falls über­haupt, Zukunfts­musik ist: Die Geräte sind sehr teuer und werden von vielen Invaliden- oder Kranken­versicherungen nicht bezahlt. Umso wichtiger ist es gemäss Robert Riener, in Forschung und Weiter­ent­wicklung zu inves­tieren. Nicht nur höhere Stück­zahlen machen die Pro­dukte kosten­güns­tiger. Auch neue Mo­delle tragen dazu bei, dass heute unbe­zahl­bare Prothesen in einigen Jahren erschwing­lich sein werden.

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Cybathlon: Innovation und Sensibilisierung

Am 19. und 20. September 2020 hätte in Zürich der zweite Cybathlon stattfinden sollen. Coronabedingt wurde der Anlass nun auf den 13. und 14. November verschoben und wird in einem anderen Format durchgeführt. Das Cybathlon-Symposium geht trotzdem am 17. und 18. September online und interaktiv über die Bühne.
Beim Cybathlon treten Menschen mit Beein­trächtigungen mit der Hilfe von assistiven Technologien – Prothesen, Exoskeletten, elek­trischen Rollstühlen usw. – in sechs verschiedenen Disziplinen gegeneinander an. Die zu bewältigenden Aufgaben und Parcours basieren auf Alltags­aktivitäten wie Treppensteigen oder Wäscheaufhängen. «Die Reaktionen nach dem ersten Cybathlon vor vier Jahren waren über­wältigend», sagt Cybathlon-Gründer Robert Riener. «Wir haben damals viele neue Erfindungen gesehen, die heute bereits auf dem Markt sind oder kurz vor dem Verkauf stehen.»
Statt dass die Veranstaltung zentral in Zürich statt­findet, stellen die Teams in diesem Jahr ihre Infra­struktur und ihre Parcours bei sich zu Hause auf und filmen ihre Rennen. Und statt nebeneinander starten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einzeln und unter der Aufsicht von Cybathlon-Offiziellen. Von Zürich aus werden die Wett­kämpfe auf einer neuen Platt­form in einem Live-Programm übertragen. Neben der Förderung von Inno­vationen geht es den Initianten primär um Inklusion und Gleich­berechtigung. Der Wettkampf soll dazu beitragen, Berührungs­ängste gegenüber beein­trächtigten Menschen abzubauen und für das Thema zu sensibilisieren. Am Cybathlon werden über 90 internationale Teams, bestehend aus je einem Betroffenen und mehreren Technologie­entwicklern, teilnehmen.

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