Energieanwendung

10.03.2022

Die grösste Insel der Welt taut auf

Eva Mätzler ist Geologin, entwickelt eine Machbarkeitsstudie für Bergsturz-Frühwarnsysteme und erlebt die Folgen des Klimawandels in Grönland hautnah.

Roswitha Strothenke
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Die Schweizer Geologin Eva Mätzler ist auf die Überwachung und das Verständnis der Dynamik von Oberflächenprozessen in der Arktis spezialisiert. Sie beschäftigt sich mit Naturgefahren, insbesondere Bergstürzen in Grönland. Seit 2020 ist sie dort Beraterin der Regierung und Teil des Forschungsrats.
Frau Mätzler, was machen Sie in Grönland?

Anfangs arbeitete ich beim Greenland Survey, für den ich Kartierungen und Forschungsarbeiten erstellte. 2017 war ich dann in die Notfallmassnahmen im Karrat-Fjord involviert, als der tauende Permafrost einen Bergsturz und einen Tsunami auslöste. Seither beschäftige ich mich mit einer Machbarkeits­studie für ein Bergsturz-Frühwarnsystem.

Woran erkennen Sie den Klimawandel vor Ort?

Ich sehe zum Beispiel, dass es im Westen keine Schlittenhunde mehr gibt. Die vertragen sich nicht mit Schafen und der Landwirtschaft. Im Norden und Osten hingegen hat es noch viele solcher Hunde, weil die Inuit damit jagen und fischen gehen. Dort macht sich der Klimawandel vor allem durch das Schmelzen des Meereises bemerkbar.

Was bedeuten diese Veränderungen fürs Land?

In Permafrostgebieten verändert sich die Boden­beschaffenheit. Wo nicht auf Felsen gebaut wurde, gehen Häuser und Strassen kaputt, Trockengebiete weichen auf und werden instabil. All dies führt zu grosser Unsicherheit, erschwert die Planung beim Bau und schürt die Angst vor neuen Gefahren.

Wie reagieren Flora und Fauna auf die Erderwärmung?

Heilbutt ist ein wichtiger Bestandteil für die Fischerei, doch die Bestände schwinden. Aber nicht nur die Tiere, auch die Pflanzen verändern sich. Tauendes Inlandeis legt fruchtbaren Boden frei, und Getreide kann gedeihen. Zudem schleppen Touristen neue Arten ein. Derweil häufen sich Naturbrände und vernichten Pflanzen grossflächig.

Was hat das für Auswirkungen auf die Bevölkerung?

Die Meereisschmelze drängt viele Einwohner in die Städte, wo sie aber keine Arbeit finden und verarmen. Die schwindenden Fischbestände führen zu reduzierten Fangquoten, es fehlen Einkünfte. Eine heikle Lage: Man darf die Bewohner nicht ihrer Existenz berauben, muss aber auf die Klimasituation reagieren.

Was macht die Regierung?

Am Glasgower Klimagipfel im Herbst 2021 hat Grönland das Pariser Abkommen unterzeichnet. Politischer Wille ist da. Die Behörden setzen zudem auf Wasserkraft: Bestehende Werke werden ausgebaut und neue errichtet. Auch die Power-to-X-Technologie, mit der überschüssiger Strom in andere, besser speicherbare Energieformen umgewandelt wird, ist im Gespräch.

Wie sehen Sie Grönlands Zukunft?

Grönländer sind Meister im Anpassen, sie haben in ihrer Vergangenheit schon viel erlebt. Ich wün­sche mir daher, dass Kultur, Tradition und Sprache fortbestehen. Die Bevölkerung muss es schaffen, die Vorteile der traditionellen Lebensweise an die neuen Gegebenheiten anzupassen, und die Modernisierung als Chance sehen.

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