Energieanwendung
14.03.2021
Die «Spiez» und ihre neue Dampfmaschine
Die neue Dampfmaschine des Dampfschiffs «Spiez» hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Im Januar ist nun erstmals in Europa seit mehr als 70 Jahren ein Schraubendampfer mit einer komplett neuen Dampfmaschine auf Probefahrt gegangen.
Was macht man mit einem alten, heruntergewirtschafteten, zu kleinen und eigentlich unwirtschaftlichen Schiff in einem defizitären Schiffsbetrieb? Die einzig vernünftige Entscheidung wäre «verschrotten». Doch das kam nicht in Frage. Am «Spiezerli» kleben so viele Erinnerungen, dass das für viele Menschen absolut nicht in Frage kam. Das Schiff ist 1901, noch in der Hochblüte des Belle-Époque-Tourismusbooms im Berner Oberland, als kleiner, feiner Ausflugsdampfer auf den See gekommen und wurde schon 1912 auf Ganzjahresbetrieb umgerüstet. Nach Kriegen und Krisen erhielt es 1949 erst mal eine Pinselrenovation und wurde 1952 mit dem Ersatz der Dampfmaschine durch einen Dieselmotor von der «DS Spiez» zur «MS Spiez». Der Motor und auch der Rest des Schiffs waren dann zur Jahrtausendwende schon so nahe ans Ablaufdatum gekommen, dass eine Ausmusterung immer wahrscheinlicher wurde und dann im Jahr 2008 auch geschah.
Schon 2005 machte die Dampflokomotiv- und Maschinenfabrik AG (DLM) in Winterthur erste Studien, wie das Schiff als Dampfschiff weiterbetrieben werden könnte. Gleichzeitig sammelten die Freunde der Dampfschifffahrt Thuner- und Brienzersee Geld, um das Projekt zu finanzieren. Aber wie das Schiff künftig aussehen sollte, darüber war man sich lange nicht einig. Denn im schlanken Rumpf, für den schon beim Bau im Jahr 1900 einmal ein Elektroantrieb in Betracht gezogen worden war, gibt es nicht viel Platz. Stabilität und damit die Lage des Schwerpunkts war immer schon ein heikles Thema bei den heftigen Winden, die auf dem See auftreten können. Zudem entsprach das Schiff nicht mehr aktuellen Sicherheits- und Umweltvorschriften.
Auf den Testfahrten auf dem winterlichen Thunersee wurden die Maschine erprobt und verschiedene Manöver gefahren.
Die neue Dampfmaschine in V - Anordnung erlaubt den Blick von oben auf die Mechanik. Rechts ist der Dampfzylinder, links die Schiebersteuerung.
An der Maschine sorgen Hydraulikelemente dafür, dass sie von der Brücke aus fernbedient werden kann. Diese moderne Dampfmaschine könnte auch eine Rangierlok oder einen schweren Flugzeugschlepper antreiben.
Die Kommandobrücke der Spiez sieht aus wie auf einem modernen Schiff. Mit dem Hebel in der Mitte wird die Dampfmaschine gesteuert.
Roger Waller, Chef der Winterthurer Firma DLM, hat mit seinem Team die neue Dampfmaschine konstruiert.
Auch die Anlegemanöver mit dem Schiff wollen erst mal geübt sein.
Bereit für weitere 100 Jahre Dampf auf dem Thunersee…
Als Antrieb wurden alle möglichen Dampfvarianten durchbuchstabiert. Die Originalmaschine war nicht mehr vorhanden, und eine ähnliche historische Maschine im Dampfzentrum Winterthur hatte etwas wenig Leistung und vor allem irreparable Risse im Zylinderblock. Ein Nachbau der ursprünglichen Maschine kam ebenfalls nicht in Frage, weil er teuer und nicht zeitgemäss gewesen wäre. Eine ebenfalls mögliche Lösung wäre eine Adaption jener Dampfmaschine gewesen, die Roger Waller in den 1990er-Jahren für die neuen Dampfloks der Brienz-Rothorn-Bahn konstruiert hat. Doch auch das war letztlich nicht praktikabel – ebenso die Idee, die Dampfmaschine mit Holzpellets und damit CO2-neutral zu befeuern. Schliesslich fand die DLM die Lösung – mit einer unkonventionellen V – 2 – Zwillingsmaschine. Sie spart Platz und macht die Mechanik für die Passagiere von oben durch einen Glasboden sichtbar. Solche V – Dampfmaschinen waren in der klassischen Dampfzeit relativ selten. Es gab sie an holländischen Hafenschleppern – und in einem Flugzeug, einem umgebauten zweisitzigen Travel Air 2000, dem in den 1920er- und 1930er-Jahren weitaus häufigsten Kleinflugzeug in den USA.
Die neue Maschine lehnt sich in vielen Punkten an die bewährten Zahnradloks der Brienz-Rothorn- Bahn an. Allerdings war für ein Untersetzergetriebe im engen Schiff kein Platz mehr vorhanden. Dampfmaschinen erzeugen zwar ihr grösstes Drehmoment aus dem Stand, doch arbeiten sie bei höheren Drehzahlen effizienter. Wie so vieles ist die neue Maschine im alten Schiff ein Kompromiss.
Das Flaggschiff "Blümlisalp" bekommt auf dem Thunersee Gesellschaft von einem zweiten Dampfschiff.
Denn ein altes kleines Schiff an Vorschriften und Bedürfnisse anzupassen, ist noch schwieriger als ein altes grosses Schiff. Auf einem grossen Raddampfer wie der «Blümlisalp» gibt’s immer irgendwo noch einen Raum, der früher für die Fracht, die Post oder die Drittklasspassagiere einer längst vergangenen Zeit gedacht war. Auf der «Spiez» ist alles viel enger, der zierliche Rumpf ist mittlerweile vollgestopft mit Technik, die Dampfmaschine benötigt dabei noch den kleinsten Platz. Da sind auch der automatische Dampfkessel und ein Vorheizgerät. Damit lässt sich der Kessel automatisch über Nacht vorheizen und ist betriebsbereit, wenn die Besatzung am Morgen aufs Schiff kommt. Dazu kommen zusätzliche Sicherheitseinrichtungen, massive Installationen für Gastronomie und Stromerzeugung, Brauch- und Abwassertanks und eine behindertengängige Toilette. So ist vom Platz im Unterdeck nur noch ein kleines, aber schmuckes Räumchen übriggeblieben.
Das Leben auf der «Spiez» spielt sich ohnehin auf dem Oberdeck und draussen ab. Die renovierten Räume und Aussenbereiche kommen nun in der Eleganz des Art déco daher, das Schiff ist ein Schmuckstück geworden, ideal für private Familienfeiern und edle Firmenanlässe, wenn man denn in der Zeit nach Corona wieder darf. Und weil es ein Dampf-Schiff ist und kein Rauch-Schiff, zieht die «DS Spiez» zwar bei kaltem Wetter eine elegante weisse Dampffahne hinter sich her. Im Gegensatz zum alten Dieselmotor gibt es aber keinen Russ und keinen Dieselgestank an Deck mehr, nur die reine Seeluft. So sieht es aus, das Dampfschiff fürs 21. Jahrhundert.
Dampf und Dampfspeicher – eine Technologie für die Energiewende
Dampfmaschinen sind eine vergessene Technologie. Sie haben einmal die ganze Welt angetrieben und könnten auch in der Energiewende ihren Beitrag leisten. Besonders interessant ist dabei die sogenannte Dampfspeichertechnik, bei der Dampf nicht auf einem Fahrzeug, sondern an einer stationären Quelle erzeugt und dann ins Fahrzeug getankt wird. Damit lassen sich Abwärmeströme von Industrieanlagen für die Mobilität nutzen. Möglich ist auch die Kombination mit einem Blockheizkraftwerk, das von Gesetzes wegen eine Wärmesenke braucht und deshalb oft nur drei Monate im Jahr läuft. Mit einer Fahrzeugflotte als Wärmesenke wird das System wesentlich rentabler, vor allem, wenn der Dampfpreis an den Preis von Dieseltreibstoff gekoppelt wird. Das System entspricht so einer neuen Form des Kombikraftwerks mit Gas- und Dampfturbine. Doch statt der Dampfturbine gibt’s eine Fahrzeugflotte. Der Gesamtwirkungsgrad liegt so deutlich über 50 Prozent. Gleichzeitig kann das Blockheizkraftwerk das Stromnetz ausregeln und so mehr Wind- und Solarenergie stabil im Netz halten.
Dampfspeichersysteme eignen sich für öffentliche Verkehrsmittel, Schiffe, Flughäfen oder Containerterminals. Roger Waller von der DLM hat zur Weiterentwicklung des Systems bereits viel Aufwand betrieben. In der Schweiz gibt es rund 1400 stationäre automatische Dampferzeuger, auf dem Flughafen Zürich steht das Heizkraftwerk sogar direkt am Rollfeld. Die neue Dampfmaschine der «DS Spiez» repräsentiert eine neue Generation von Dampfmaschinen, die auch für solche Aufgaben adaptiert werden könnte. Sie eignet sich für den Einbau in Autofähren, in moderne Rangierlokomotiven mit Drehgestellen oder für schwere Flugzeugschlepper, die Airbus A380 oder Boeing 777 herumziehen können. In einer kleineren Variante könnte sie Gepäck- und Frachtschlepper auf Flughäfen, Busse, Kommunalfahrzeuge, Boote oder autonome Transportfahrzeuge in Containerterminals, sogenannte AGVs, antreiben.