Energieanwendung

19.11.2020

Die Geschichte der Nestwärme

Heizen ist politisch, Heizen ist ein Statement, und Heizen hat sich massiv gewandelt.

Roswitha Strothenke
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Hafner Joel Schmutz baut bei Perler einen alten Ofen neu auf.

Wärme ist teuer und wertvoll und anstrengend. Die Grossvater-Weisheit sagt, dass Brenn­holz fünfmal warm gibt: beim Fällen, beim Transport, beim Scheiten, beim Schichten und beim Heizen. Der grosse Aufwand war deshalb immer schon Richt­schnur in Alltag und Kultur. Bett­socken und Schlaf­mützen gibt’s nur, weil es nachts so kalt wurde, dass an den Fenstern ganze Eisblumen­gärten erblühten. Himmel­betten wurden mit Tüchern verhüllt, und in Bayern zwängten sich die Leute gemeinsam in Bett­schränke, um sich zu wärmen. Der Stellen­wert der Wärme in der Zeit vor der unsicht­baren Boden­heizung zeigt sich bei der Firma Perler Ofen in Bern, dem grössten Unter­nehmen für historische Öfen in Europa. Geschäfts­führer Marc Huber beschäftigt Schlosser, Hafner und Kunst­maler. Da gibt es die seltenen Öfen mit Wilhelm Tell und Szenen aus der Schweizer Geschichte, die Von-Roll-Öfen mit gezöpfeltem Guss­gestell, Jugendstil­­öfen aus den USA oder einen Art-déco-Kachelofen. Er war von Anfang an mit elektrischen Heiz­schlangen ausgerüstet. Die Eleganz der grossen Öfen schätzte das Bürgertum in den 1920er-Jahren noch, aber der Dreck war bereits verzichtbar.

Marc Huber sitzt auf einer Ofenkunst, regional auch «Chust» oder «Chouscht» genannt, einer früher populären Ofenform mit warmer Sitzbank. Die im Bild wurde neu konstruiert aus einem einfachen Ofen und alten Kacheln. Dahinter steht ein Art-déco-Ofen, der schon vor fast 100 Jahren elektrisch beheizt wurde: Ofencharme ohne Dreck.
Keine Wärme ohne Russ

In vielen Gebieten der Schweiz hatten Öfen keine Kamine. Der Rauch zog durchs Dach ab und setzte es bisweilen in Brand. In Nord­europa wurde zudem weiss oder schwarz geheizt. Weiss heizten die Wohl­habenderen, mit einem teuren Kamin, schwarz die Armen. Dabei füllte sich das Haus mit Rauch, sodass sich die Bewohner nur auf Knien unter der Rauch­wolke hindurch­bewegen konnten.Gute Isolation und Tiere in der Nähe sparen viel Arbeit. Die Wikinger gruben ihre Häuser in den Boden ein, und im russischen fernen Osten, wo die Temperaturen auf –50 Grad fallen können, wurden die Ställe fürs Vieh U-förmig um das einstöckige Wohnhaus mit seinem grossen Ofen herum­gebaut und aussen mit immer dickeren Schichten von Mist und Erde isoliert. In Westrussland und Finnland zimmerten sich die Menschen dagegen ihre Holz­häuser aus ineinander­greifenden Holz­stämmen und lebten um, auf und in riesigen Öfen aus Ziegel­steinen. Obendrauf wurde geschlafen, drinnen gekocht und Brot gebacken, und oft war der Ofen so gross, dass er auch als Sauna diente.

Heizung und Lüftung

In den Palästen in St. Petersburg gab es ab dem 18. Jahrhundert erste Zentral­heizungen mit kombinierter Lüftung. Feuerungen im Keller wärmten die Wände, ähnlich dem römischen Hypokaustum. Neben den Rauch­kanälen verliefen Frisch­luft­kanäle zu den Wohn­räumen. So strömte kontinuierlich vorgewärmte Frisch­luft ins Haus. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden daraus ausge­klügelte Warmluft­heizungen, die unfrei­willig als Haus­telefon funktionierten. Durch die Luft­kanäle war jedes Wort hörbar, das zwei Stock­werke tiefer gesprochen wurde.

Mit der industriellen Revolution wurde Heizen billiger, doch die Zwänge blieben. Bis in die 1950er- Jahre wurde in der Schweiz noch so gebaut, dass das Kohle­fuhrwerk möglichst einfach abladen konnte. Der Fuhrhalter schüttete die Kohle aufs Trottoir, dann wurde sie durch die noch immer vorhandenen Fensterchen auf Strassen­niveau in die Kohle­keller geschaufelt. Die Ölheizung, deren Brenn­stoff über weite Strecken durch Schläuche gepumpt werden konnte, machte auch eine neue Quartier­planung möglich, mit weiten, verkehrs­freien Grünf­lächen.Noch bis in die 1970er- Jahre wurden in der Schweiz selbst in Wohn­blocks nur einzelne Zimmer mit Briketts, Kohle oder Holz in einem guss­eisernen «Eskimo»-Ofen beheizt. Diese Heizwelt liegt in den Depots von Perler Ofen. Rund 600 Stück hat Marc Huber an Lager. Es gibt noch so viele Öfen, dass er nur die schönsten kauft. Das gilt auch für die Kochherde. Da gibt es kleine, zierliche mit Messing­knäufen und zwei Koch­stellen oder auch riesige kohlen­betriebene «Kochmaschinen» aus der Hotellerie. Darin wärmte der durch­strömende heisse Rauch mehrere unterschiedlich heisse stählerne Koch­felder. Um die Temperatur zu regulieren, schoben die Köche wie Schach­spieler ihre Kupfer­pfannen von einem Feld aufs andere. Solche Monstren finden immer wieder Liebhaber. Allerdings baut Perler nun Keramik­kochfelder ein. Und auch die kleinen Gussöfen und die Bauern­kochherde bekommen ein zweites Leben: als Outdoor-Küchen.

Kaum jemand kocht in der Schweiz noch täglich auf einem Holzherd. Tausende solcher Herde stehen deshalb in Schuppen und Abstellkammern herum. Einige wenige erhalten bei Perler ein zweites Leben als Outdoor-Küchen. Doch erst schützt Mitarbeiterin Ada Cascione sie mit einer provisorischen schwarzen Farbschicht, bevor sie definitiv restauriert werden. Und an den wieder auferstandenen Öfen gibt sie den alten Kacheln mit spitzem Pinsel neue farbliche Frische.
Fernwärme galt als «kommunistisch»

Ab etwa 1890 gab es Guss-Heizkörper. Damit konnten ganze Quartiere und auch alte Häuser, in deren Wänden die gemauerten Lüftungs- und Heizkanäle fehlten, nachge­rüstet werden. Eines der ersten Fernheiz­netze mit Strom­erzeugung entstand 1898 in Berlin für die Beelitz-Heilstätten. Populär wurde die Fern­heizung vor allem in Skandinavien und Osteuropa. Kalte Krieger in der Schweizer Lokal­politik lehnten Wärme­verbunde deshalb lange ab, weil «kommunistisch». Ähnlich politisch aufgeladen waren die Anfänge des Wärme-Contractings, bei dem Kunden nur noch die Wärme bezahlen und keine Heizung kaufen. Es ist ein Kind der Anti-AKW-Bewegung der 1980er- Jahre. Die Ingenieure unter den Kaiseraugst-Demonstranten rechneten den Strom­konzernen vor, dass neue Atom­kraft­werke überflüssig wären, wenn jede Öl­heizung auch Strom erzeugen würde. Einen weiteren Moderni­sierungsschub gab es ab den 1930er- Jahren mit der Erfindung der geschweissten Heiz­körper wie jenen der Schweizer Firma Zehnder in Gränichen. Sie lassen sich aus standardisierten Rohren in unzähligen Grössen- und Leistungs­varianten herstellen. Zehnder produziert täglich Hunderte solcher Heizkörper. Neben den üblichen Röhren­heizkörpern entstehen hier auch Ba­d­radiatoren, und wer will, bekommt ganze Radiatoren-Kunstwerke, etwa Radiatoren-Sitzbänke, heizende Treppen­­geländer oder heizende Skulpturen.

Ohne Lüftung blüht im Bad der Schimmel

Doch der Radiatorenmarkt stagniert. Für Zehnder wird das Geschäft mit den Lüftungen immer wichtiger. Allerdings sind viele heutige Architekten noch weit weg vom Wissen der Palast­bauer vor 200 Jahren mit ihren Heiz- und Frischluft­kanälen. Für Dominik Hof, Leiter Marketing-Kommunikation bei Zehnder, ist das un­ver­ständ­lich: «Luft ist ein Lebens­mittel wie Wasser. Aber sie wird bei der Planung oft vernach­lässigt.» Das hat Konsequenzen. Neue oder sanierte Häuser ohne Zu- und Abluft­system brauchen mehr Energie und sind oft erstaunlich unkomfortabel. Immer kühlt irgendwo ein Kipp­fenster das Haus ab, in den Bädern blüht der Schimmel, und Abzugs­hauben erzeugen einen so starken Unter­druck, dass sich Türen nicht mehr öffnen lassen. Moderne Lüftungen vermeiden das alles – mehr noch: Sie entziehen der Abluft Wärme und Feuchtig­keit und geben sie an die staub- und pollen­gefilterte Zuluft weiter. Allergiker wissen das zu schätzen. Die modernste Zehnder-Lüftung macht aus 22 Grad warmer Abluft auch im Hoch­winter 19 Grad warme Zuluft und entlastet die Heizung.

Aus den Blechrollen werden bei Zehnder in Gränichen jene Lamellen, die in den Heizkörpern möglichst viel Luft erwärmen.
Und wo bleiben Öl und Gas?

Passivhäuser, die mit den Fenstern die Wärme der Sonne einfangen und in Boden und Wänden speichern, brauchen keine Heizung mehr, nur noch eine Lüftung und einen Wasser­erwärmer, allenfalls in einem Kombi­gerät. Wärme­pumpen haben in der Energie­wende Priorität. Auch Pellet­feuerungen, Cheminées und Holzöfen, teilweise mit einge­bauter Heiz- und Brauch­wasser-Erwärmung, sind eine Lösung. Dagegen werden klassische Ölheizungen wohl bald verboten. Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Die Sole-Wasser-Wärme­pumpen kühlen den Boden stark ab, wodurch Bäume ein­gehen können. Luft-Wasser-Wärme­­pumpen brauchen bei Aussen­temperaturen unter fünf Grad fast so viel Strom wie die längst verbotenen Elektrospeicheröfen. Gaswärme­pumpen basieren zwar auf fossiler Energie, holen aber viel Wärme ebenfalls aus der Umgebungs­luft. Mit mehr erneuer­barem Gas im Netz sinkt der fossile Anteil in der Wärme der Gas­wärmepumpe aufs Niveau von Kohle- und Gasstrom im Winter­strommix für die elektrische Wärme­pumpe. Gleichzeitig entlastet die Gaswärme­pumpe das Stromnetz. Selbst Ölheizungen sind nicht nur schlecht – etwa in sonnigen Berg­dörfern mit vielen Heiztagen. Bestehende Anlagen lassen sich gut mit thermischen Solar­anlagen kombinieren, etwa in wenig genutzten Ferien­häusern. Das Solar­system heizt das Haus bis etwa 14 Grad, und der Ölbrenner läuft nur selten. Das einzelne Holz­scheit gibt heute nicht mehr fünfmal warm, doch Arbeit ist noch immer gefragt – vor allem Denkarbeit.

Kochrezept für ein Passivhaus

Passivhäuser werden kaum geheizt. Dafür gibt’s ein einfaches «Kochrezept», sowohl für Neu- wie für Umbauten. Man nehme eine dichte Gebäude­hülle und eine sehr gute Isolation, alles aus Materialien, deren Produktion wenig Energie braucht: Kalk­sandstein, Holz, Isofloc, Schafwolle und Lehm statt Beton, Ziegel, Steinwolle oder Styropor. Glas ist energie­intensiv und isoliert schlechter als jede Wand, hilft aber beim Heizen. Fenster sind darum möglichst südlich orientiert, nehmen nicht mehr als ein Drittel der Fassade ein und stehen im Schatten eines Balkons oder Vordachs. So heizen sie nur im Herbst und Winter bei tief stehender Sonne. Eine Komfort­lüftung ist wichtig. Fehlt sie, stehen zu oft die Fenster offen, und die Isolation wird unwirksam. Zum Kühlen im Sommer braucht das Haus grosse Fenster am höchsten Punkt, um nachts Durchzug zu provo­zieren. So ist es drinnen immer etwa 23 Grad warm, auch bei Aussen­temperaturen von +40 oder –10 Grad.

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