Energieanwendung

16.06.2019

Die Energie, in der wir leben

Der Verbrauch von Heizenergie war bisher bei fast allen politischen und technischen Energiesparmass­nahmen das grosse Thema. Doch Immobilien verbrauchen noch auf ganz andere Weise Energie.

Roswitha Strothenke / iStock / Keystone-SDA, DESAIR, Heinz Leuenberger
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Moderne, ökologische Bauten bedeuten auch Lebensqualität.

Ziegelsteine härten in der Ziegelei in einem Ofen bei 1200 Grad aus und heissen darum Backsteine. Zement entsteht in riesigen Drehrohröfen bei 1400 Grad. Stahl schmilzt in den Stahlwerken bei 1000 bis 1200 Grad und läuft dann mit 800 bis 900 Grad durch die Walzwerke, bis er zu Armierungseisen oder langen Trägern wird. Holz muss gesägt und Glas geschmolzen und gegossen werden. Einzelne Baumaterialien benötigen mehr Energie in der Herstellung, bei andern sind die Transportwege weit, etwa wenn Bruchsteine aus Polen importiert werden oder Tessiner Granit zum Zersägen nach Mittelitalien fährt und dann zurückkommt, weil lokal die nötigen Maschinen nicht vorhanden sind.

«Häuser verursachen einen viel grösseren Energieaufwand, als bisher allgemein thematisiert wurde»

Gianrico Settembrini
Beton als CO2-Schleuder

Jeder Arbeitsprozess am Bau bedeutet einen bestimmten Energieaufwand – für die Herstellung der Materialien, aber auch für die Montage und letztlich für den Betrieb des Gebäudes. «Häuser verursachen einen viel grösseren Energieaufwand, als bisher allgemein thematisiert wurde», sagt Gianrico Settembrini, Architekt und Leiter der Forschungsgruppe «Nachhaltiges Bauen und Erneuern» an der Hochschule Luzern. Die ganze Aufmerksamkeit des Energieverbrauchs galt bisher dem Betrieb. Das sind denn auch jene Kosten, welche für die Nutzer am offensichtlichsten sind, wenn sie jeden Herbst die Heizölpreise studieren und dann versuchen, den günstigsten Moment für die Bestellung zu erwischen.
Für die Ökologie ist dieser Teil des Energieverbrauchs, der sogenannte Betrieb, allerdings nur teilweise relevant, und die Bedeutung schwindet mit jeder neuen Aussenisolation und jedem neuen Isolierglasfenster. Denn in den Materialien steckt oft viel mehr Energie, als der Betrieb des Hauses je brauchen wird. So kann man als Faustregel mit der Kohle, die für die Herstellung des Zements für ein Betonhaus gebraucht wird, ein gut isoliertes Holzhaus etwa 100 Jahre lang heizen. Die Zement- und die Stahlindustrie verursachen mit ihren Hochtemperaturöfen und der Kohlendioxid-Ausgasung aus dem Ausgangsmaterial für Zement weltweit 14 Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen. Die Hälfte des weltweit produzierten Stahls wird in der Baubranche verbraucht. Je weniger gut geplante und isolierte Häuser deshalb an Betriebsenergie verbrauchen, desto wichtiger wird die sogenannte graue Energie in der Energiebilanz von Häusern. Wie wichtig das künftig ist, zeigt folgendes Beispiel: Ein Flugzeug verbraucht sein eigenes Gewicht an Treibstoff in einem Tag. Hier bringt jede Gewichtsersparnis mit energieintensiven Materialien sehr viele Einsparungen bei den Emissionen des Betriebs. Ein Auto verbraucht sein eigenes Gewicht an Treibstoff etwa in einem Jahr. Ein modernes Haus braucht dafür Jahrzehnte. Deshalb ist die Wahl der Materialien im Bau entscheidend.

Drei Arten Verbrauch

Gianrico Settembrini geht aber noch weiter. Er betont: «Der Energieverbrauch eines Gebäudes setzt sich aus drei verschiedenen Komponenten zusammen.» Das sind die für die Herstellung benötigte Energie, die Betriebsenergie und die Mobilität, die ein Gebäude provoziert. Jener dritte Punkt wurde bisher noch viel seltener beachtet als der Energieaufwand für die Materialien, ist aber genauso entscheidend. Bewohner fahren zur Schule, zur Arbeit oder zum Einkaufen. Wenn das perfekte Einfamilienhaus mit kleinstem Betriebsenergieverbrauch weit weg von allen Zentren steht und die Bewohner mit mehreren Autos täglich Dutzende von Kilometern zurücklegen, ist der Mobilitätsenergieverbrauch gleich hoch wie der Betriebsenergieverbrauch bei einem zentral gelegenen, schlecht isolierten Altbau direkt an einer Tramhaltestelle.
Solche Gedanken sind unter Archi­tekten und Planern nicht neu, wie Barbara Sintzel vom Verein eco-bau erklärt. Schon in den 1980er-Jahren versuchte der Verein als Zusammenschluss von öffentlichen Bauherrschaften, ökologischere Bauten zu fördern, und schuf das eco-bau-Label, welches 2017 mit jenem des Vereins Minergie zu Minergie eco zusammengelegt wurde. Mittlerweile sind in der Schweiz etwa 2000 Gebäude danach zertifiziert, insgesamt dürften es rund 10 000 sein, welche die Bedingungen mehr oder weniger erfüllen. Das ist nicht eben viel angesichts des Baubooms der letzten Jahre.

Die Wohnungen im Oberfeld sind eher klein, dafür können die Bewohner Gästezimmer dazumieten.
Die Energie, in der wir leben
Tragende Strukturen und die dick isolierten Fassaden sind aus Holz, Treppen und Zugänge aus Brand­schutzgründen betoniert. Diese Materialmischung macht die Häuser deutlich leichter als die üblichen 50 Tonnen pro Bewohner und spart somit viel graue Energie. Die Aussenräume sollen möglichst attraktiv sein und werden gemeinsam gepflegt.
Die Energie, in der wir leben

«Der Anfang war ziemlich chaotisch. Die einen Mitglieder wollten kein PVC in den Häusern, die andern kein Formaldehyd in den Holzwerkstoffen, die dritten wollten kein Tropenholz. Jeder hatte seine eigene Vorstellung von Ökologie.»

Barbara Sintzel
Online-Tool Bauteilekatalog

Bei der Erarbeitung ihrer Richtlinien machten auch die Hochbauämter einen Lernprozess durch. «Der Anfang war ziemlich chaotisch», erzählt Barbara Sintzel. «Die einen Mitglieder wollten kein PVC in den Häusern, die andern kein Formaldehyd in den Holzwerkstoffen, die dritten wollten kein Tropenholz. Jeder hatte seine eigene Vorstellung von Ökologie.» Das war der Grund für den Zusammenschluss im Verein eco-bau. Ziel war es, einheitliche Empfehlungen zu entwickeln, welche die Vereinsmitglieder umsetzen können. Die Unternehmer, seien es Maurer, Zimmerleute oder Spengler, erhielten verständliche, kompakte Vorgaben für ihren Leistungsbereich, die sie dann entsprechend umsetzen konnten.
Bald hat man jedoch realisiert, dass die Einzelmaterialbetrachtung zu kurz greift und vor allem der Entwurf, die Statik und das Gebäudekonzept eine wichtige Rolle für die graue Energie eines Gebäudes spielen. Der Verein eco-bau hat deshalb zusammen mit der Firma Holligerconsult ein Online-Tool für Planer geschaffen. Der Bauteilekatalog erlaubt es, den Grauenergieinhalt etwa von Holzständerbauten mit unterschiedlichen Isolationen mit einem Doppelschalen-Mauerwerk zu vergleichen. Es gibt für Barbara Sintzel deshalb nicht gute oder schlechte Materialien. Vielmehr geht es darum, wie man jedes Material möglichst effizient und entsprechend seinen Eigen­schaften einsetzt.
Ähnlich argumentiert auch Gianrico Settembrini. So hätten sich beispiels­weise Holz-Beton-Verbundkonstruktionen, oder allgemein Mischkonstruktionen, sehr gut bewährt, sowohl hinsichtlich der Stabilität wie auch des Schallschutzes. Denn reine Holzhäuser schneiden zwar hinsichtlich der grauen Energie sehr gut ab, sind aber, wenn schlecht konstruiert, als «Geigenkästen» berüchtigt, weil man in älteren Holzhäusern im ersten Stock jedes Wort versteht, das im vierten gesprochen wird. Mit richtig konzipierten Konstruktionen und sorgfältig geplanten Holzbauten lässt sich das aber lösen.

Gärtnern statt fliegen spart CO2
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«Was ist Luxus, und was ist gut genug?»

Ist das wirklich nötig?

Genauso wichtig wie die Frage nach Standorten und Materialien ist laut Settembrini jene nach der «Suffizienz» – im Sinne von: «Was ist Luxus, und was ist gut genug?». Braucht ein Ehepaar wirklich 140 Quadratmeter, oder reichen auch 80, und braucht jede Wohnung ein leer stehendes Gästezimmer? Vielleicht liesse sich das auch mit «Mietzimmern» lösen, die je nach Bedarf tage- oder wochenweise dazugemietet werden können. Solche Ideen flossen in die Planung der Genossenschaftssiedlung Oberfeld in Ostermundigen ein. Dort sind die Wohnungen relativ klein, dafür gibt es mehr öffentliche Räume und mietbare Zimmer. Die Bewohner verpflichten sich, keine Autos zu kaufen, stattdessen gibt es unmittelbar bei der Siedlung einen Mobility-Parkplatz. Auch zur vom Gesetz vorgeschriebenen Einstellhalle hat man sich Gedanken gemacht. Die gibt es zwar, sie hat aber nur gerade die vom Gesetz verlangte Minimalgrösse und dient als Velohalle.
«In den Untergeschossen steckt extrem viel graue Energie», sagt Barbara Sintzel. Zum einen bestehen sie ausschliesslich aus Beton, zum andern werden sie oft sehr schlecht genutzt. Wenn sich Bauherren da fragen: «Brauche ich das wirklich?», lässt sich meist das zweite Untergeschoss oder bei Einfamilienhäusern ein Teil der Unterkellerung einsparen. Dann wird die Statik plötzlich viel einfacher, und möglicherweise lassen sich dann auch gleich Bauten im Grundwasser vermeiden. So bedeutet «Suffizienz» nicht nur massive Einsparungen bei der grauen Energie, sondern auch kostengünstigeres Bauen.
Diese Vorstellung kann sich durch das ganze Gebäude ziehen. Was nicht verbaut wird, benötigt auch keine Energie. Gianrico Settembrini propagiert deshalb als ökologische Bauform den sogenannten «Edel-Rohbau». Dabei ist die Qualität des Rohbaus so hoch, dass Wand- und Deckenverkleidungen oder Anstriche nicht mehr nötig sind. Und statt zusätzliche Unterlagsböden und Bodenbeläge zu verbauen, wird der Beton für die Unterlagsböden noch im nassen Zustand eingefärbt und dann leicht angeschliffen. So entstehen moderne, loftartige Bauten. Darin bleiben weder Ökologie noch Komfort und Lebensqualität auf der Strecke.

Die verglaste Büchse der Pandora

Glas ist modern, aber aus energetischer Sicht ein hochproblematisches Material. Die Herstellung von Glaselementen benötigt mehr Energie als alle anderen Wandmaterialien, und im Betrieb sind Glaspaläste Energiemonster. Im Winter brauchen sie mehr Heizung und im Sommer mehr Kühlung als alle anderen Gebäude, und die Entsorgung und das Recycling benötigen wiederum sehr viel Energie. Passiv-Haus-Planer, welche die Heizleistung von Glas nutzen, planen deshalb nur etwa 30 Prozent einer Fassade aus Glas und sorgen mit Vordächern, Storen und Balkonen für ausreichende Beschattung.

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