Energieanwendung

19.11.2020

Der Stör rettet im Berner Oberland die Forelle

Frutigen ist eine ideale Ferienbasis und hat mit dem Tropenhaus eine ganz spezielle Attraktion.

zVg Tropenhaus Frutigen
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Das Tropenhaus zeigt die Welt eines wärmeren Klimas mitten in den Alpen.

Frutigen ist mitten­drin. Das Eisen­bahner­dorf an der Lötschberg­linie ist ein idealer Ausgangs­punkt, um die Berner Oberländer Bergwelt zu erkunden – sei es auf Ski, zu Fuss, kletternd, bikend oder Gleit­schirm fliegend. Philipp Blaser, Gastgeber im Hotel National in Frutigen, erklärt den Reiz der Gegend so: «Man ist schnell in den Bergen, schnell in der Stadt, schnell am See.» Er ist in vierter Generation Hotelier in seinem über 100 Jahre alten Familien­betrieb. Dazu gehört auch eine Confiserie, mit Schwerpunkt Schokolade. Den Anfang aller Schokolade zeigt die grösste Frutiger Attraktion, das Tropen­haus. In riesigen Gewächs­häusern wach­sen Pfeffer und viele andere Gewürze, Bananen, Kaffee­stauden und eben Kakao. Der Dschungel in den Bergen erklärt die Herkunft, die Ökologie und die Verwendung all jener Produkte, die durch­schnittliche Konsument­innen und Köche nur verar­beitet oder verpackt kennen. Gleich­zeitig löst das Tropenhaus ein öko­logisches Problem.

Warmes Wasser als Gefahr

Beim Bau des Lötschberg-Basis­tunnels stiessen die Mineure auf warmes Sicker­wasser, pro Sekunde zwischen 70 und 100 Liter Wasser mit einer Temperatur von 18 Grad. So viel warmes Wasser darf, auch wenn die Menge inzwischen zurück­gegangen ist, nicht in die Berg­bäche gelangen. Ein­heimische Fische, insbesondere die gefährdeten See­forellen, die in der Kander laichen, ertragen das nicht. Die rettende Idee kam schliesslich einem fischenden Tunnel­bau­ingenieur. Eine Zucht für Warm­wasser­fische sollte die einheimischen Kalt­wasser­fische retten, dazu die Gewächs­häuser mit all den exotischen Alltags­pflanzen. Der Fisch der Wahl ist der Stör und damit auch die Produktion von edlem, schwarzem Kaviar.

Stark gefährdete Tierart

Die meisten der 26 bekannten Stör-Arten sind gefährdet, und es leben mittler­weile mehr Störe in Zuchten als in freier Wildbahn. Gezüchtet werden meist Sibirische Störe und der langsamer wachsende Russische Stör (Acipenser gueldenstaedtii). Die letzten grossen Bestände haben sich im Schwarzen und vor allem im Kaspischen Meer erhalten, auch dank rigoroser Schutz­mass­nahmen. Doch nach dem Zusammen­bruch des Sowjet­reichs wurde unkontrolliert drauf­los­gefischt, sehr zum Ärger der Iraner, die ihre jahr­zehnte­lange Aufbau­arbeit zerstört sahen. Mittler­weile ist der Verkauf von Kaviar aus wilden Beständen verboten, der wilde Stör so gut geschützt, wie es nur geht. Störe züchten ist allein schon deshalb eine Aufgabe, die nicht nur dem Kommerz, sondern auch der Art­erhaltung dient. In Gefangen­schaft in Anlagen wie jener in Frutigen wachsen die Störe schneller als in freier Wildbahn – in grossen Becken, im Freien und in der Halle mit auto­matischer Futter­zugabe. Aber auch hier geht es langsam. Deshalb züchtet das Tropenhaus auch Felchen, Egli und Zander. Die kleinen «Stör-Fingerlinge» werden im Alter von drei Monaten bei speziali­sierten Züchtern eingekauft und wachsen dann im Berner Oberländer Quell­wasser langsam heran. Erst mit drei Jahren kann ihr Geschlecht bestimmt werden. Von den Männchen gibt’s zwar sehr feine Stör-Steaks, aber keinen Kaviar – das mit 2000 bis 5000 Franken pro Kilo­gramm weitaus teuerste Produkt des Tropenhauses.

Geduldige Investoren

Die Weibchen werden noch drei Jahre weiter gefüttert, und die Männchen kommen in ein anderes Becken, in dem sie kräftig gegen den Strom schwimmen müssen. Sie bauen Fett ab und Muskeln auf, so wie sie es im Meer und in den Flüssen tun würden. Bei den Weibchen geschieht das erst nach sechs Jahren, bevor sie geschlachtet werden. Vorläufig ist das noch nötig. Es wäre viel interessanter, wenn die Weibchen ihren Laich mehrmals abgeben könnten. Ent­sprechende Systeme sind in Entwicklung, aber es ist noch nicht klar, was dies für den Kaviar bedeutet und ob er öko­logische und lebens­mittel­rechtliche Kriterien erfüllen würde. So braucht denn ein Projekt wie das Tropenhaus vor allem Geduld und Investoren mit sehr langem Atem. Ursprünglich ange­stossen mit Hilfe verschiedener lokaler Investoren, gehört das Tropenhaus nun dem Gross­verteiler Coop, der auch gewisse Produkte vertreibt. Doch wichtig ist vor allem das Erlebnis. Der tropische Wald ist faszi­nierend, die Tische stehen nicht erst seit Corona weit verstreut unter Palmen- und Bananen­blättern. Alles, was hier wächst, landet früher oder später auf den Tellern der Gäste. Rund 175 Pflanzen­­arten gibt es in den Gewächs­häusern, ob Chili, Pfeffer, Paprika oder eben jene unschein­baren Bohnen, die Basis von Philipp Blasers Schoggi-Kreationen.

Kulturfisch Stör

Der Stör war auch bei uns heimisch. Gewässer­ver­schmutzung, Dämme und die Fischerei rotten die «Hausen» aus. Der Atlantische Stör, der es bis Basel schaffte, ist ausge­storben, der Europäische Stör lebt vereinzelt in der Ostsee. Als Knorpel­fisch hat er keine Gräten, lediglich ein Stütz­korsett aus Knorpel­platten. Sein Fleisch schmeckt exzellent, die Haut ist begehrt für Leder­waren, und aus den Knorpeln wird Störleim gekocht. In den ägyptischen Gräbern wurden mit Störleim geklebte Holz­schatullen gefunden, die noch immer halten. Störleim, obwohl mühsam herzustellen, ist deshalb noch immer die erste Wahl der Restauratoren. Und dann ist da noch der Kaviar – der Inbegriff des Luxus. Das alles ist dem Stör zum Verhängnis geworden. Die Tiere pflanzen sich nur alle zwei bis vier Jahre fort, werden erst nach sechs bis zehn, in Einzel­fällen auch erst nach 20 Jahren geschlechts­reif, leben dafür aber 60 bis 150 Jahre lang. Die vielen Störe, die jedes Jahr an den hungrigen Mäulern in Europas Städten vorbei­zogen, waren deshalb immer dieselben. Einmal gefangen, waren sie weg.

Mehr zum Tropenhaus finden Sie hier

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