Energieerzeugung

14.03.2021

Der Garten vor der Haustür

Die Bio­diversität fördern und zur Selbst­versorgung bei­tragen: Guerilla-Gärtner Maurice Maggi zeigt, warum mehr Grün in der Stadt nicht nur schön anzu­schauen ist.

Stefan Kubli
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«Guerilla-Gärtner» Maurice Maggi säht zwischen Beton und Asphalt und hat damit seit Jahren Erfolg.

Mariendisteln hier, Wilde Möhren dort. Und dazwischen immer wieder Malven. Wer mit Maurice Maggi in der Stadt Zürich unter­wegs ist, lernt nicht nur die Namen der Pflan­zen und Blumen kennen, die das Strassen­bild prägen. Der Zürcher Pionier des Guerrilla Gardening, des wilden Gärtnerns im öffent­lichen Raum, weiss auch sonst viel über Grün­flächen zu erzählen – über beste­hende und feh­lende. «In Zürich gibt es immer noch viele Orte, die grüner sein könnten», sagt Maggi. Seit 40 Jahren streift er mit seinem Saat­gut durch die Stadt und sät Blumen und ess­bare Pflanzen an ausge­wählten Stellen. Im europäischen Ver­gleich attestiert der gelernte Land­schafts­gärtner Zürich schlechte Karten: «In Städten wie Paris, London und Wien werden mehr Flächen entsiegelt, mehr Park­anlagen geschaffen sowie Dächer und Fassaden besser zum Be­pflan­zen genutzt.» Und diese klein­­räumigen Inseln wirkten sich positiv auf das Stadt­klima aus und seien wichtig für den Erhalt der Bio­diversität – also der Viel­falt an Tieren, Pflanzen und natürlichen Lebensräumen.

Maurice Maggi ist immer auf der Suche nach kleinen grünen Lebens­räumen in der Stadt.
Biotop im Verkehrsgewusel

Was Maurice Maggi damit meint, zeigt sich am Beispiel des Zürcher Hardplatzes. Der grosse Platz bei der Auf­fahrt auf die Hardbrücke im Kreis 4 wurde bei der Realisierung einer neuen Tram­linie über die Hardbrücke neu gestaltet. Zwar finden sich ein­zelne mit Pflanzen begrünte Kies­flächen am Platz­rand, grössten­teils aber ist der Boden versie­gelt und bietet keinen Lebens­raum für Insekten und andere Klein­tiere. Damit ist der Hardplatz kein Einzel­fall: Laut einem Bericht des Bundes­amts für Umwelt sind knapp 63 Prozent der Siedlungs­flächen in der Schweiz versie­gelt, das heisst mit Gebäuden oder betonierten Flächen ver­baut. Mit rund 1920 Quadrat­kilometern entspricht diese Fläche fast jener des Kan­tons St. Gallen. In Kom­bi­nation mit der stei­genden Licht­ver­schmutzung in Sied­lungen zählen die schwin­denden Lebens­räume zu den Haupt­gründen für den anhal­tenden Rück­gang an Insekten­arten in der Schweiz.

«Absurderweise ziehen sich Insekten heute vermehrt in die Stadt zurück, weil ihnen die Über­düngung durch die Land­wirtschaft in länd­lichen Gebieten zusetzt»

Maurice Maggi

Ausgerechnet der Stadt käme im Kampf gegen den Insekten­schwund aber eine zentrale Rolle zu. «Absurder­weise ziehen sich Insekten heute vermehrt in die Stadt zurück, weil ihnen die Über­düngung durch die Land­wirtschaft in länd­lichen Gebieten zusetzt», erklärt Maggi. Aus diesem Grund möchten der Guerilla-Gärtner und einige Gleich­gesinnte mittels Crowd­funding ein Wild­bienen-Reservoir auf dem Hardplatz in Zürich schaffen: «Der Platz befindet sich mitten im Verkehrs­gewusel, trotz­dem könnte er ein kleines Biotop sein.» Gemäss Maggi sind für Wild­bienen nämlich nicht Art und Grösse eines Lebens­raums entschei­dend, sondern die Ver­net­zung zwischen den ein­zelnen Stand­orten. Die ent­sprech­enden Pflan­zen sollten in einer Distanz von maximal einem Kilometer liegen, damit die Bienen sie zum Bestäuben gut an­fliegen können.

Die Mischung machts…
… und plötzlich erblüht der Beton-Dschungel.
Selbstversorgung ist in

Die Bestäubung von Wild- und Kultur­pflanzen durch Insekten ist für ein funk­ti­o­nierendes Öko­system ebenso zentral wie für unsere Ernährung. Schätzungen der Akademie der Natur­wissen­schaften zufolge könnte ein Fehlen der Blüten­bestäuber kurz­zeitig zu einem Ausfall von bis zu acht Prozent der welt­weit pro­du­zierten Menge an Nahrungs­mitteln führen. Besonders betroffen wären vitamin­reiche Nahrungs­mittel wie Obst und Gemüse. Vor diesem Hinter­grund drängt sich die Frage nach mehr selbst angebautem Essen geradezu auf. Wie Selbst­ver­sorgung im urbanen Raum funk­ti­oniert, beweist Maurice Maggi mit seinem Koch­buch «Essbare Stadt». Darin zeigt der Guerilla-Gärtner und passionierte Koch, wie man mit Zutaten kocht, die wort­wörtlich vor der eigenen Tür wachsen. Das passt zum Zeit­geist: Einer­seits liegt vegetarische und vegane Ernährung im Trend, ander­seits hat der pandemie­bedingte Lock­down im Frühling 2020 neue Bedürf­nisse hervor­gerufen. Maggi erhielt damals viele An­fragen von Familien, die draussen nach ess­baren Pflanzen suchen wollten. Also ver­öf­fent­lichte er kurze Videos zum Thema «Krisenküche».

Viele essbare Schätze, die in Zürich zu finden sind, sind das Ergebnis von Maggis Aus­saaten. Er mische gerne Gemüse in sein Saat­gut, sagt er, und freue sich, wenn die Leute es ernten würden. Und wie ist er über­haupt zum Pionier im wilden Gärtnern geworden? «Ich stamme aus einer subversiven Ecke» – Maggi schmunzelt – «und wollte das zwinglianische Zürich grüner und schöner machen.» Kein Zufall also, dass viele seiner Saaten eben­falls aus einer Sub­kultur stammen: «Es sind Pionier­pflanzen, die aus einer Nische heraus etwas verändern.»

Empfehlenswerte Kochbücher von Maurice Maggi:
«Essbare Stadt» und «Einfache Vielfalt»

Videos zur «Krisenküche»

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