Energieanwendung
09.09.2020
Daumen hoch und weg
Autostopp ist ökologisch und billig – und es gibt sogar eine Meisterschaft.
Die grösste Autostopp-Generation ist heute 70 und «stöppelt» nicht mehr. Aber vielleicht lassen sich Jüngere wieder für das Reisen per Daumen begeistern, dachte sich Daniel Slodowicz, nachdem er in Deutschland an einem Autostopp-Rennen mitgemacht hatte. Seither organisiert er mit seinem kleinen Verein die Schweizer Autostopp-Meisterschaft und macht jede Menge «Trainingskilometer». Beruflich ist Daniel Slodowicz Biologe und Doktorand. Sein Spezialgebiet sind Magerwiesen. Die Idee hinter der Meisterschaft ist denn auch nicht nur das günstige Reisen, sondern ein ökologisches Anliegen. Hunderttausende leere Autositze könnten ohne zusätzlichen Energieverbrauch sehr viele Menschen transportieren.
Den grossen Boom erlebte das «Stöppeln» in den 1970ern mit dem Hippie-Trail, als junge Leute loszogen, um sich selbst zu finden. Entsprechend hat auch die Autostopp-Meisterschaft etwas Anarchisches. Gefahren wird in Zweierteams, Start ist immer Fribourg. Das Ziel ist etwa 300 Kilometer entfernt, meist ein Campingplatz. Wie es erreicht wird, ist egal, ob zu Fuss oder mit einem geliehenen Velo, nur bezahlen ist verboten. Aber es gibt Sonderpreise für das originellste Transportmittel, die originellste Route und das originellste Kostüm. Danach erzählen sich die Teilnehmer bis in den frühen Morgen hinein ihre Abenteuer. Davon gibt’s viele, etwa, wenn es gelingt, einen Traktor, einen Reisebus oder die Säntisbahn zu stöppeln, oder wenn ein Team nach fünf Stunden warten plötzlich von jemandem mitgenommen wird, der es über mehr als hundert Kilometer direkt ans Ziel fährt. Einmal lag Daniel Slodowicz sehr gut im Rennen, als ein Wohnmobil an ihm vorbeifuhr. Dessen Beifahrer rief aus dem Fenster: «Wir sind schon voll.» Er dachte sich nichts dabei und rollte kurz darauf in einem anderen Auto unmittelbar hinter dem Wohnmobil ins Ziel. Da kletterten zwölf Leute aus dem Wohnmobil und katapultierten ihn auf die hinteren Ränge.
Stöppeln an der Seilbahn – eines der grossen Highlights an der Autostopp-Meisterschaft.
Die Meisterschaft ist klein. Die Maximalzahl von 50 teilnehmenden Zweierteams wird kaum je erreicht. In Deutschland und Osteuropa ist Autostopp als «Rennsport» wesentlich populärer. In Polen wurde Autostopp staatlich gefördert, und in Russland etablierten sich Autostopp-Rennen gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die Teilnehmer mussten ein Fahrtenbuch führen, und es gab «Kontrolltore», etwa auf einer Poststelle, wo das Fahrtenbuch gestempelt wurde. Die Routen waren oft sehr lang: Moskau–Barcelona, via Murmansk, auf Wiedersehen in zwei oder drei Wochen. Im Gegensatz zu solchem «Extremsport» ist die Schweizer Autostopp-Meisterschaft ausgesprochen breitensportlich angelegt. Der Spass überwiegt – und vielleicht nehmen dadurch auch mehr Autofahrer und Autofahrerinnen wieder «Stöppler» mit.
Der Spass ist entscheidend.
«Mitfahrbänkli» und «Panchine Condivise»
Autostoppen geht auch ohne Daumen und Pappschild. Im Tessin, in der Ostschweiz oder in Graubünden gibt es immer öfter «Mitfahrbänkli» oder «Panchine Condivise» – grell bemalte Bänke mit einer Tafel. Wer hier sitzt, will mitfahren. Die beiden Bänke im bündnerischen Masein am Heinzenberg oberhalb von Thusis haben sogar ausklappbare Schilder, mit denen potenzielle Mitfahrer und Mitfahrerinnen signalisieren können, in welche Richtung sie mitgenommen werden möchten. Das System ist als günstige Ergänzung zum ausgedünnten öffentlichen Verkehr gedacht, wird rege genutzt und hat auch die Autofahrer für das Revival des Stöppelns sensibilisiert. Erfahrenen Stöpplern ist aufgefallen, dass sie viel schneller mitgenommen werden, seit es die Bänke gibt. Und es setzen sich plötzlich auch Leute auf die Mitfahrbänkli, die früher nie «per Daumen» gefahren wären.