Geschichte
16.06.2019
Das Tal der Familie Giacometti
Das Tal ist steil und das Überleben anstrengend. Da ist Kunst nicht gerade die naheliegendste Berufswahl für junge Leute, schon gar nicht vor über 100 Jahren. Und doch gab es im Bergell schon im ausgehenden 19. Jahrhundert viele Einheimische, deren Horizont weit über die eigenen Berge hinausreichte. Das hing mit dem Transitverkehr zwischen der Region Mailand und Österreich zusammen, der hier durchführte, oder auch den Zuckerbäckern, die auswanderten und mit Geld und internationalen Kontakten zurückkehrten. Und da war auch die Familie von Salis, die sich schon immer viele schöne Dinge leisten konnte. Vor allem aber wurde Kunst an den Bergeller Talschulen von zwei Lehrern jahrzehntelang systematisch gefördert, und insbesondere die Familie Giacometti zeigte sich dafür sehr empfänglich.
Augusto Giacometti spezialisierte sich auf Glasmalereien. Von ihm stammen etwa die Kirchenfenster im Zürcher Fraumünster, in der Martinskirche in Chur und in der Kirche St. Johann in Davos. Sein Cousin Giovanni konnte vor der Jahrhundertwende in München und Paris studieren, bevor er ins Bergell zurückkehrte, und hatte daraufhin immer wieder die Grössen der Kunstwelt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bei sich zu Gast, seien es Cuno Amiet oder Ferdinand Hodler. Giovanni machte sich erst nach und nach einen Namen als Künstler, aber nicht bei den wohlhabenden Gästen in St. Moritz, deren Geschmack er nicht traf, sondern bei den Galeristen in Zürich und Winterthur.
Gegossen und handwerklich perfektioniert wurden Albertos Werke meist von Bruder Diego, der mit ihm zusammen in Paris lebte und arbeitete. Erst nach Albertos Tod wurde Bruno vor allem mit Tierskulpturen berühmt.
Vater Giovanni Giacometti auf einem Selbstprotrait.
Giovanni Giacometti, Schneebedeckter Piz Badile im Bergell
Augusto Giacometti, Peace 1915
Giovanni und Annetta Giacometti mit ihren Kindern Alberto (links), dem jüngsten Sohn Bruno auf den Knien des Vaters sowie vorne Diego und Ottilia. Talfotograf Andrea Garbald machte das Bild während eines Spaziergangs am 5. August 1909, dem 38. Geburtstag von Annetta.
In dieser Umgebung, in der die ganze Familie über Kunst sprach und bei der immer wieder Künstler zu Gast waren, wuchsen die Giacometti-Kinder Alberto, Bruno, Diego und Ottilia auf. Sie wurden automatisch gefördert, kaum fingen sie an zu zeichnen und zu basteln. Alberto arbeitete schliesslich zusammen mit Diego in Paris, wo Bruno die Arbeiten seines älteren Bruders handwerklich perfektionierte. Vor allem nach dessen Tod konnte er auch mit eigenen Werken und eigenem Design reüssieren. Bruno wurde Architekt und baute unter anderem das Zürcher Hallenstadion, das Schulhaus in seinem Heimatort Stampa, die Angestelltenhäuser des ewz im Bergell oder das Bündner Naturmuseum in Chur, eines seiner letzten Werke.
centrogiacometti.ch