Energieanwendung
14.03.2021
Als die Welt elektrisch fuhr – und die Schweiz ganz vorne mit
Zwischen dem Pferd und dem Siegeszug des Verbrennungsmotors gab es eine kurze Hochblüte des Elektroantriebs für Strassenfahrzeuge.
«Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube ans Pferd.»
Um 1900 verkündete der deutsche Kaiser Wilhelm II. noch im ordengeschmückten Brustton der Überzeugung: «Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube ans Pferd.» Das Pferd war damals ein gigantisches ökologisches Problem in den Städten. Längst nicht alle Pferdeäpfel wurden von Kindern zusammengelesen, um in Gärten als Dünger zu dienen. Meist verdichtete er sich mit dem Kies der unbefestigten Strassen zu einer festen Masse und rollte bei Regen als braune Brühe die Strassen entlang. Sie verstopfte dann die gerade eben mühsam angelegte neue Kanalisation. Pferdelose Fuhrwerke, egal mit welchem Antrieb, für Waren- und Personentransport mussten wie eine Erlösung erscheinen. Am Anfang lieferten sich elektrische und benzinbetriebene Fahrzeuge ein Kopf-an-Kopf-Rennen, mit den Dampfautos, die als letzte auftauchten, mit leichtem Rückstand dahinter. Die Dampfer waren leicht und schnell, aber auch relativ kompliziert und teuer. Doch sie konnten das überall erhältliche Leuchtpetrol verbrennen und waren vor allem auf steilen Strecken, auf denen Benziner und Stromer Mühe hatten, unschlagbar. Dampfautos wurden daraufhin für die populären Bergrennen disqualifiziert, da angesichts eines Dampfautos in der Meldeliste andere Teilnehmer nicht mehr mitfahren wollten. Um 1907 fuhr der Dampfrennwagen «Stanley Rocket» 200 km / h, ein Jahr später 300. Das Fahrzeug ist bis heute das schnellste Auto mit weniger als 30 PS. Doch weil damals private Autos vor allem Spielzeuge der Reichen waren, beendete das Rennverbot für Dampfautos deren Entwicklung weitgehend, mit einer kurzen Renaissance in den 1920er- und 1930er-Jahren.
Ein fast vergessener Mitbewerber war das Dampfauto. Der Stanley Rocket war der erste Rennwagen, der 1906 rund 200 km / h schnell fuhr – und 1907 sogar 300 km / h. Er ist bis heute das schnellste Fahrzeug mit weniger als 30 PS Leistung. Am rechten Bildrand mit den Bowler Hüten sind die beiden Konstrukteure zu sehen, die Zwillinge Francis und Freeland Stanley.
La «Jamais Contente» die «Niemals Zufriedene» ist ein elektrischer Rennwagen des belgischen Konstrukteurs und Rennfahrers Camille Jenatzy. Er fuhr damit im April 1899 erstmals schneller als 100 km / h.
Vor dem Ersten Weltkrieg hatten in flachen, urbanen Gegenden mit einem sich schnell ausbreitenden Stromnetz die Stromer die Nase vorne. Die Benziner brauchten speziellen Treibstoff, den es anfangs nicht überall gab. Viele Raffinerien konnten nicht so einfach von Leuchtpetrol auf Benzin umstellen. Dagegen war Strom dank der Elektrifizierung der Beleuchtung der Städte in den Zentren relativ einfach verfügbar, und die Technik war zwar schwer, aber nicht sonderlich kompliziert. Und auch Batteriewechselstationen entsprachen dem Sinn und Geist der Pferdewechselstationen. Sie passten ins Mindset der Zeit.
In der Schweiz war es die Firma Tribelhorn, die in Olten Akkumulatoren und in Zürich Fahrzeuge baute. Besonders populär wurden die Elektroschlepper von Tribelhorn, als während des Ersten Weltkriegs die Pferde knapp und teuer wurden und die von jedem Stallknecht bedienbaren Schlepper begannen, die grossen Fuhrwerke zu ziehen. Schon 1905 nahm die Basler Feuerwehr den ersten elektrischen Mannschaftstransportwagen in Betrieb, komplett mit Schlauchrolle, Leiter und Platz für zehn Feuerwehrleute. Das Fahrzeug war 32 km / h schnell und wurde vom Wiener Unternehmen Lohner Porsche gebaut, einem Kutschenbauer, der den jungen Konstrukteur Ferdinand Porsche engagiert hatte, um das Pferd zu elektrifizieren. Mit 2600 kg Leergewicht war die Strom-Feuerwehr erstaunlich leicht. Heutige Porsche-SUVs sind ähnlich schwer. Elektrofahrzeuge gab es in Fabriken, aber auch in Zoos, bei Gemeindeverwaltungen und besonders in autofreien Feriendestinationen wie Wengen, Mürren, Saas Fee oder Zermatt. Dort haben sich über die Jahrzehnte grosse Flotten von direkten Nachfahren der Tribelhorn-Fahrzeuge erhalten.
Doch alle Elektrofahrzeuge, ob Tribelhorn, Lohner, Rauch & Lang oder das Joint Venture von Thomas Edison und Henry Ford namens Detroit Electric, ob die eleganten Coupés für die Damen der Oberschicht oder die Feuerwehrautos – sie alle hatten dasselbe Problem. Sie waren unglaublich teuer, fürs selbe Geld gab’s in der Zeit nach 1900 auch kleine Einfamilienhäuser.
Elektrowagen, wie hier der elegante Detroit Electric, waren beliebte Fahrzeuge für Damen der Oberschicht. Mit den Stromern mussten sie sich nicht an Motoren und Zündkerzen die Hände schmutzig machen und brauchten so auch keinen Chauffeur. Prominenteste Elektroauto-Pilotin ist seit Jahrzehnten Oma Duck aus den Donald-Duck-Comics.
Das lag an der Einzelfertigung von Hand und änderte sich erst mit der Etablierung des Montagefliessbands durch Henry Ford in den USA und André Citroën in Europa. Doch die beiden Herren produzierten vor allem Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Kam dazu, dass mit der Erfindung des Elektrostarters für Verbrennungsmotoren das Ankurbeln und die durch das Zurückschlagen der Handkurbel typische Autoverletzung, das verstauchte Handgelenk, wegfielen. Der Elektrostarter gilt allgemein als der Totengräber der Stromer und Dampfer auf der Strasse. Doch es waren vor allem die Massenproduktion, die tieferen Preise für Verbrenner und nach dem Zweiten Weltkrieg die gigantischen, von der Kriegswirtschaft finanzierten Fabrikationskapazitäten für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, die den Stromern und Dampfern den Garaus machten.
Und etwas ist auch daran an der Legende, dass die Öl- und Autoindustrie ihre Hände mit im Spiel hatte. Um 1890 war der wichtigste Geschäftszweig der Erdölbranche die Beleuchtung. Ab etwa 1900 begann dieses Geschäft mit der Elektrifizierung der Städte rasend schnell wegzubrechen. Mobilität war eine Chance, um den Beleuchtungsmarkt zu ersetzen. Aber auch da waren die Stromer mit elektrischen Trams, Trolleybussen und Eisenbahnen führend. Die Ölfirmen sahen sich vor dem nahen Untergang und mussten etwas dagegen tun, solange sie noch konnten. Mit Henry Fords Popularisierung des Autos packten sie ihre Chance gemeinsam mit der Autoindustrie, solange aus dem Beleuchtungsgeschäft noch genügend Geld da war. Treibende Kraft hinter dem Projekt, die Elektrizität und die Stromnetzbetreiber aus der Mobilität zu verbannen, war ab den 1920er-Jahren der langjährige Chef von General Motors, Alfred Sloan. Er war damals einer der kreativsten, aber auch skrupellosesten Köpfe der Branche. Nachdem Ford riesige Mengen gleicher, schwarzer Autos lanciert hatte, schuf Sloan die flexible Fertigung von Autos mit gleichen Teilen in unterschiedlichen Preisklassen und Marken, je nach Kaufkraft der Kundschaft. Er erfand damit das Auto als Statussymbol.
Zusammen mit verschiedenen anderen Auto- und Ölfirmen kaufte General Motors in vielen US- Städten die meist privat betriebenen elektrischen Strassenbahn- und Trolleybus-Betreiber auf und ersetzte sie durch Buslinien. Alles, was auf Schienen fuhr und Stromabnehmer hatte, wurde verschrottet. Private Stromnetzbetreiber hatten zuvor die die elektrische Mobilität mit Strassenbahnen, aber auch Batteriewechsel- und Servicestellen vorangetrieben. Solche Symbiosen von Stromnetz und Transport gab es auch in der Schweiz. So sind die Elektra Birseck (heute Primeo Energie) und die Birseckbahn (heute BLT Basellandschaft Transport) gemeinsam entstanden.
Doch in den USA verkauften die Netzbetreiber ihr Transportgeschäft an GM und konzentrierten sich auf das immer profitabler werdende Netzgeschäft. Und weil nach dem Ersten und erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg gigantische Produktionsanlagen vorhanden waren, um Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu produzieren, die Bevölkerung aber gleichzeitig verarmt war, gab es für technische Extravaganzen wie Elektroautos oder den dem Benzinantrieb noch in den 1930ern technisch überlegenen Dampfantrieb keinen Platz mehr. Erst jetzt kommen die Elektroautos langsam zurück.